Artikel in der Mittelbayerischen zeitung vom 27/28. Oktober seite 47
Serie: Habe die Ehre mit Helmut Wanner
MENSCHEN Man nennt ihn in seinem Ortsteil den heimlichen Bürgermeister. Besser wäre wohl Wege-Ebner. Der 58-Jährige sorgt für Barrierefreiheit in der Stadt.
REGENSBURG. „O mei, der Brunnbauer Kare!“, heißt es sofort. Man kennt ihn. Es gibt einen im Alten Rathaus, 1. Stock, Fenster auf den Kohlenmarkt, der denkt an ein Loch im Zahn, wenn er seinen Namen hört. Wie oft er ihn schon auf Bürgerversammlungen gequält hat mit seinen bohrenden Fragen, die nicht aufhören, auch wenn Stahl schon auf Eisen trifft!
Heute für die Behinderten in Berlin Ja, man möchte nicht glauben, wie viele Menschen den Karl Brunnbauer kennen. Das liegt an seinem rollenden Markenzeichen, das ist sein höhenverstellbarer Rollstuhl. Überall rollt er hin. Dahin, wo er eigentlich gar nicht hinkommen sollte, rollt er am liebsten. Er sagt von sich: „Ich falle auf für andere. Ich gebe der Problematik ein Gesicht.“ Und die Problematik ist: Behindert wird man nicht geboren. Behindert wird man durch „die einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die Menschen mit Behinderung an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern“. So steht es in der Präambel zur UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 in Deutschland Gesetz ist. Für diese Ziele sitzt er heute beim Tag des Behinderten im Deutschen Bundestag. Er hat die Ausschüsse Finanzen und Recht. Mit Margit Adamski vom Verein Zweites Leben ist er am Donnerstagmorgen in den Zug nach Berlin gerollt. Man kennt Karl Brunnbauer nur mit Rollstuhl. So wie man den Johannes Heesters nur als alten Mann wahrnahm. Dabei war der nicht immer alt. Und Karl Brunnbauer sitzt erst acht Jahre, die geringste Zeit seines Lebens, im Rollstuhl. Er ist mit einem Mädchen gegangen, er hat getanzt, er ist barfuß gelaufen, er ist in der Donau vom Winzerer Badeplatz auf die Schillerwiese geschwommen, er kennt von Pfaffenstein bis Kager jeden Stein auf den Winzerer Höhen. Denn da ist er daheim. Die Quitten sind reif. Seine Frau Irmgard lässt sie noch ein paar Tage am Baum hängen. Kaffee steht auf dem Tisch. Alles ist gut und liebevoll vorbereitet. Im Wohnzimmer fällt eine Skulptur ins Auge: Es zeigt Eheleute, die einander stützen. Irmgard und Karl Brunnbauer haben vor 31 Jahren geheiratet. Das weiß mittlerweile halb Regensburg. Brunnbauer: „Ich muss mich ja jetzt öfters vorstellen, dann erwähne ich als erstes immer meine Frau, mit der ich seit 31 Jahren verheiratet bin.“ Bis zur Hochzeit konnte er tanzen und gehen. Brunnbauer hat sogar noch selber in den väterlichen Garten gebaut. Alles natürlich barrierefrei. „Ich wusste ja, was auf mich zukommt.“ Mit 40, sagte man ihm voraus, werde er im Rollstuhl sitzen. Er hat es zehn Jahre länger ohne geschafft. Mit fünf Knochenbrüchen hat er seine „Selbständigkeit“ bezahlt. Heute lobt er Rollstuhl und Auto als Verbesserung von Lebensqualität, „die ich in Prozentzahlen gar nicht ausdrücken kann, weil sie mir Mobilität und Teilnahme am Leben sichern.“ Von der Wohnung rollt er in die Garage direkt in seinen umgebauten Großraum-Kia, bei dem der Fahrersitz ausgebaut und die Bremskraft enorm verstärkt sind. So fährt er in die Falkensteinstraße und rollt von dort an seinen Arbeitsplatz. Bei Scheubeck hat er vor 44 Jahren gelernt. Noch im ersten Lehrjahr machte sich seine Muskelkrankheit bemerkbar. „Ich bin unterm Gehen einfach hingefallen. Durch Kraftlosigkeit auf beiden Beinen.“ Eine Klinik-Odyssee begann. Die Ärzte rieten ihm zur Umschulung. Brunnbauer hat die Lehre durchgezogen. Heute, nach vielen Anpassungen an seine Krankheit, ist er als Elektromeister in der Qualitätssicherung an innovativen Produkten des Weltmarktführers beteiligt. Darauf ist er so stolz, dass er es gar nicht sagen kann. Brunnbauer ist der einzige Bewohner von Winzer, dessen Grund noch von der Nürnberger Straße bis hinauf zu den Winzerer Höhen reicht. Alle Brunnbauers der Umgebung stammen aus dem Hof in der Nürnbergerstraße 328b. Bereits sein Großvater konnte von sich sagen, ein gebürtiger Winzerer zu sein. Als ältester Sohn von insgesamt drei Geschwistern, ist der am 4. Januar 1954 geborene Karl der Hoferbe. Er hat von den Ahnen auch etwas anderes geerbt – eine schwere und unheilbare Krankheit mit drei Buchstaben und einer Zahl: SMA 3. „Ich bin der Erste in der ganzen Familie der Brunnbauers, bei dem diese vererbte Muskelkrankheit aufgetreten ist.“ Einzigartig ist auch die Art, mit der Brunnbauer auf die Erkrankung reagiert hat. Er fragte sich nicht, warum es gerade ihn getroffen habe, auch nicht ein einziges Mal hat er gejammert. „Ich kenne keine Gefühlsausschläge, weder nach unten, noch nach oben. Ich bin immer sachlich“, beschreibt Karl Brunnbauer seine Gemütslage. Offensichtlich haben ihm die Vorfahren nicht nur die Krankheit mitgegeben, sondern auch den entsprechenden Charakter. Der hilft ihm, richtig damit umzugehen. Das Schicksal bescherte Glücksfälle: seine Frau, die Großfamilie, seinen Arbeitgeber. Die Wohnung in der elterlichen Hofstelle hat er an Elena und Gheorghe, ein junges rumänisches Ehepaar, vermietet. Die sind gerade zum ersten Mal Eltern geworden. Gheorghe kam als Erntearbeiter und fährt heute für Wittl auf der Linie 12, die durch Winzer fährt. Brunnbauer hat ihm die Wege durch die Bürokratie bis zur Busfahrer-Lizenz geebnet. Die letzte Barriere war der Pfarrer Man nennt Karl Brunnbauer den „heimlichen Bürgermeister von Winzer“. Er ist dort von klein auf engagiert, erst bei der Kolpingjugend, dann bei der Feuerwehr, in der Pfarrgemeinde und seit kurzem im SPD-Ortsverein Steinweg-Winzer. Man könnte ihn auch den Wege-Ebner nennen. Es gibt kaum eine Initiative im ländlich geprägten Stadtteil, an der er nicht irgendwie beteiligt war. Überall macht er den Weg frei. Die Kirche und das Pfarrheim hat er barrierefrei gemacht. „Die Steinmetze und die Bestatter profitieren jetzt davon.“ Der SPD-Ortsverein hat nach seinem ersten Besuch bei einer Versammlung das Versammlungslokal gewechselt. Grund: Der Spitalkeller ist nicht barrierefrei. Brunnbauer war noch keine sechs Monate bei der Partei, da wurde er zum Ortsvorsitzenden gewählt. Seine erste Bürgerversammlung mit Bürgermeister Joachim Wolbergs und der SPD-Stadtratsfraktion hält er jetzt im Pfarrheim von Winzer. Die einzige Barriere, die er dort noch zu überwinden hatte, war der Vorbehalt des Pfarrers, er müsse dann ja den Raum auch den Linken und den Piraten geben. Brunnbauer hat sich ein klein wenig geärgert, wurde dann aber schnell wieder sachlich: Er hat den Weg ins Pfarrheim über eine Mehrheitsentscheidung in der Kirchenverwaltung freigemacht. ➤ Als Fachkraft für Qualitätssicherung ist der Elektro-Industriemeister seit 44 Jahren bei der Maschinenfabrik Reinhausen tätig und dort auch im Vertrauenskörper der IGMaktiv. Von Jugend an engagiert er sich ehrenamtlich in verschiedensten örtlichen und überörtlichen Vereinen und Organisationen. ➤ In Behinderten- und Selbsthilfe-Verbänden ist Brunnbauer tätig. Unter anderem ist er stellvertretender Landesvorsitzender von „Selbst Aktiv SPD“. ➤ Für Brunnbauer ist die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die im März 2009 in Deutschland ratifiziert und damit zum Gesetz wurde, ein besonderes Anliegen. ➤ Seit vielen Jahren setzt er sich in Regensburg aber auch für ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft ein. Aus eigener Erfahrung weiß Brunnbauer, dass Mobilität und Barrierefreiheit dafür die zentralen Punkte sind. Inklusion und Teilhabe sind für ihn eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für die Zukunft.