„Blindenführhundewesen in Deutschland“

Info-Treffen zum Thema „Blindenführhundewesen in Deutschland“

Am 15. Mai 2012 fand in Nürnberg das erste Treffen zum Thema „Das Blindenführhundewesen in Deutschland“ statt. Teilnehmer an diesem informativen Treffen waren Christa Steiger, MdL und Sprecherin der SPD-Fraktion für Politik „Menschen mit Behinderung“ sowie Mitglied des Arbeitskreises der SPD-Landtagsfraktion für Soziales, Familie und Arbeit, Klaus-Peter Böhmländer, 1.Sprecher der Regionalgruppe Bayern Netzwerk für Menschen mit Behinderung in der SPD und Sibylle Brandt, Ansprechpartnerin Selbst Aktiv in Unterfranken. Das Blindenführhundwesen in Deutschland zeichnet sich durch eine Vielzahl verschiedenster Vereine und Interessengruppen aus, die die unterschiedlichsten Ziele verfolgen. Gemeinsam ist ihnen nur eines, ihre Uneinigkeit.

Unbesehen der Tatsache, dass es einige wenige wirklich gute Ausbilder und Ausbildungsstätten in Deutschland gibt, denen sich die Blinden und schwer Sehbehinderten unbedenklich anvertrauen können, ist die Situation im Allgemeinen nicht unproblematisch.

Es gibt deutschlandweit kein anerkanntes einheitliches Berufsbild, also keine Ausbildung für die Ausbilder von Blindenführhunden, an die die Betroffenen, im wahrsten Sinne des Wortes, „ihr Leben hängen“.

Abgesehen von einigen wenigen Mitgliedschulen der IGDF (International Guide Dog Federation – der internationalen Blindenführhunde Gesellschaft), gibt es in Deutschland keine verbindlichen Zulassungsvoraussetzungen für das Betreiben einer Blindenführhundschule. Es reicht eine einfache Gewerbeanmeldung, um eine Blindenführhundschule zu betreiben.

Das hat leider dazu geführt, dass es neben den wenigen seriösen Anbietern mittlerweile etliche "Produzenten" mit sehr zweifelhaften Ausbildungspraktiken und -Methoden gibt. Die Hunde werden oft durch günstige osteuropäische Subunternehmer ausgebildet. Das geht so schnell, das es ohne extreme Gewaltanwendung kaum machbar ist. Zudem sind Herkunftsnachweise und Gesundheitszeugnisse sehr zweifelhaft.

Aber auch Billiganbieter aus dem übrigen europäischen Ausland bringen ihre Überkapazitäten mittlerweile auf den deutschen Markt unter. Das hat dazu geführt, das Blindenführhunde den Kostenträgern zu Dumpingpreisen angeboten werden. Da die Krankenkassen gesetzlich gehalten sind, den günstigsten und nicht den im Preis- Leistungsverhältnis besten Anbieter zu beauftragen, werden nicht nur die guten deutschen Blindenführhundeschulen langsam in den Ruin getrieben, es werden vor allem Blindenführhunde an blinde und schwer sehbehinderte Menschen weitergegeben, auf die sich der Betroffene nicht hundert Prozent verlassen kann.

Auch das neue Präqualifizierungsverfahren wird die bisher, zumindest sozialgerichtlich durchsetzbare freie Wahl der Blindenführhundschule des Vertrauens nicht mehr möglich machen. Die Anbieter, die schnell und billig (im doppelten Wortsinn) Führhunde produzieren und abgeben sind klar im Vorteil. Eine Qualitätssicherung und -verbesserung ist so nicht zu erwarten. Seriöse Anbieter werden sich aus dem Markt zurückziehen oder sich über alternative Finanzierungsformen rekapitalisieren müssen.

Auf der Strecke bleiben dabei also wieder einmal die Blinden und schwer Sehbehinderten.

Wie bei anderen Blindenhilfsmitteln müssten auch hier endlich ausführliche Qualitätssicherungsmaßen in allen Bereichen eingeführt und ständig kontrolliert werden.

Ein gut ausgebildeter Blindenführhund aus einer guten und vor allem seriösen Blindenführhundeschule ist mindestens 6 Monate oft bis zu einem Jahr in der Blindenführhundausbildung bevor er an einen von seinem Trainer ausgesuchten Behinderten abgegeben wird. Die Einarbeitung mit dem Blinden dauert dann, je nach Hund, bis zu drei Monaten. Das verursacht natürlich höhere Kosten, die erst einmal von der seriösen Blindenführhundeschule getragen werden muss. Seriöse Berechnungen gehen davon aus, dass ein Blindenführhund in der Ausbildung, Einarbeitung und Nachbetreuung zwischen 30 und 35 TSD Euro kostet. Der durchschnittliche erzielbare Preis in Deutschland liegt zwischen 15 und 25 TSD Euro. Wirtschaftlich sinnvoll ist dies mit Sicherheit nicht!

Im Anschluss an die Einarbeitung zwischen Herrn und Hund steht die so genannte Gespannprüfung, in deren Verlauf die effektive Zusammenarbeit sowie auch das soziale Miteinander des Gespannes überprüft wird. Eine sinnvolle Maßnahme, wenn sie ernst genommen wird und von qualifizierten Gespannprüfern durchgeführt wird. Aber auch hier stellt sich die Frage nach der Qualifizierung der Prüfer. Auch hier gibt es keine qualifizierte Ausbildung für die Prüfer Ein Eignungsnachweis für den Umgang mit Mensch und Hund wird nicht gefordert. Es reicht ein einziges Wochenendseminar beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband.

Die Gespannprüfer im deutschen Blindenführhundewesen leben von dieser Tätigkeit, kein Wunder also, dass viele Gespanne ohne Grund die Prüfung mehrfach absolvieren müssen.

So weit in groben Umrissen die Situation derzeit. Der neueste Clou einiger Krankenkassen ist das Leasing der Blindenführhunde. Wo soll das hinführen. Es stellt sich schon jetzt die dringende Frage nach der Haftung. Wer steht für die Schäden, die sich aus dieser desolaten Situation für den Blinden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergeben wird, gerade? Die seriösen Ausbilder? Die sicher nicht, denn diese sind ja von vornherein bestrebt ein sehr gutes lebendiges Hilfsmittel anzubieten. Der Blinde? Der wohl erst recht nicht. Hängen doch sein Leben und Gesundheit vor allen an der guten und verantwortungsvollen Ausbildung der Hunde. Bleiben die Kostenträger – oder der Staat, also wir.

Es ist also an der Zeit sich des Problems in aller Ausführlichkeit anzunehmen: Wir brauchen in Deutschland endlich einheitliche und fundierte Ausbildungs- und Qualitätskriterien für

  1. die Ausbilder
  2. die auszubildenden Hunde
  3. die Gespannprüfer
  4. die Sachbearbeiter der Krankenkassen und Behörden

sowie auch den Nachweis über den richtigen Umgang der blinden Menschen mit dem Hilfsmittel „Führhund“.

Wir müssen endlich einheitliche Regelungen und Kontrollsysteme auch für die Kostenübernahme des Hilfsmittels Führhund haben, damit auch die seriös ausbildenden Blindenführhundschulen ein gesichertes Auskommen haben um die hohen Standards ihrer Ausbildung weiterhin finanzieren zu können.

Das Thema „Blindenführhundewesen in Deutschland“ ist ein sehr großes und bisher kaum bearbeitetes Feld. Packen wir es an.

Sibylle Brandt Sprecherin SelbstAktiv Unterfranken