Ein Vortrag von Sibylle Brandt, Landesvorsitzende AG Selbst Aktiv Bayern und Stephan Neumann, Landesvorsitzender AG Selbst Aktiv Brandenburg in Zusammenarbeit mit der Frankenakademie Schloss Schney. Falls Sie Interesse an einem Vortrag online oder vor Ort haben, wenden Sie sich bitte gerne an sibylle.brandt@selbstaktiv-bayern.de Das Kopieren und Verwenden der Inhalte nach Rücksprache mit Frau Brandt.
Geschichte der Menschen mit Behinderung
Über die Jahrtausende hinweg wurden Menschen mit Behinderung in der bekannten Welt meist ausgegrenzt oder vorgeführt. Fehlende Rechte erschwerten es ihnen fast immer am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Es gab nur einige wenige Ausnahmen: Bei den indigenen Völkern in Nord- und Südamerika z. B. galten geisteskranke Menschen als von den Göttern besonders gesegnet. Ähnliches galt in der Antike für Epileptiker. So ist bekannt, dass Alexander der Große, Julius Cäsar u. a. große Führer unter Fallsucht litten und daher als von den Göttern auserwählt galten. Aber sie waren die Ausnahme nicht die Regel.
Steinzeit
Archäologische Funde aus der Steinzeit beweisen, dass für unsere Vorfahren Inklusion überlebenswichtig war. Beispielhaft dafür ist der Knochenfund eines Kindes, das wegen einer schweren Kopfverletzung vermutlich behindert war. Ohne die Pflege von Erwachsenen, meinen Forscher, hätte es nicht so alt werden können.
Unsere Vorfahren, so die Wissenschaftler, waren fürsorglich und sozial.
Funde aus der Zeit der Neandertaler belegen, dass Menschen mit einer Beeinträchtig, schweren Verletzungen oder Behinderung nicht nur gut gepflegt wurden sondern ein stetiger Bestandteil der Gruppe waren und überall mithin genommen wurden.
Das alte Ägypten
Inklusion war in der ältesten bekannten Hochkultur der Welt, im alten Ägypten, selbstverständlich. In seinem Gesetzeswerk „Lehren des Lebens“, schrieb Pharao Amenenope ca. 1000 v.Chr.: „Lache nicht über einen Blinden, verspotte nicht einen Zwerg und verschlimmere nicht den Zustand eines Lahmen“.
In diesem Gesetz wurde festgelegt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen aller Art allen anderen Menschen gleichgestellt sind. Im ägyptischen Reich vor über 3000 Jahren galt: Auch der behinderte Mensch ist ein von den Göttern erschaffenes Wesen und damit allen anderen Menschen gleich. Menschen mit Beeinträchtigungen waren geschätzt, hatten dieselben Rechte wie alle andren und bekleideten z.T. hohe Ämter in der Priesterschaft, als Schreiber und Beamte. Die Nichtbeachtung dieser Gesetzte wurde je nach Schwere sogar mit dem Tode bestraft. Menschen mit Beeinträchtigungen wurden wertgeschätzt.
Wert und Wertigkeit
Während in der ägyptischen Hochkultur Menschen mit Behinderung als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft wertgeschätzt wurden, galten im alten Griechenland und später auch im Römischen Reich andere Maßstäbe.
Griechenland
Die Ansicht über Menschen mit Beeinträchtigungen verändert sich drastisch mit dem Aufstieg und Vordringen Griechenlands als „Weltmacht“. Ab 400 v. Chr. wurden Menschen mit Beeinträchtigungen nur noch nach ihrer sozialen Brauchbarkeit für die Gesellschaft beurteilt.
Körperliche Behinderungen
Körperbehinderungen waren eine Familienangelegenheit, die für die betroffenen Menschen natürlich Konsequenzen hatten. Sie wurden kommentiert und verspottet. Aber es gab durch die vielen Kriege auch viele Menschen mit unterschiedlichsten sichtbaren Behinderungen: Kinder mit Klumpfuß und Rachitis, Kriegsveteranen mit unterschiedlichsten Verletzungen, spastisch Gelähmte sowie Menschen mit sonstigen körperlichen Einschränkungen verursacht durch die noch nicht vorhandenen Impfungen und Antibiotika.
Körperliche Behinderungen
Körperliche Beeinträchtigungen waren für viele Menschen im alten Griechenland fast normal. Aber auch ihr „Wert“ bestimmte sich nach ihrer vorhandenen Einsatzfähigkeit für die Gesellschaft. Ein großer Teil der Bevölkerung bestand aus Menschen mit chronischen körperlichen Beeinträchtigungen. Unterstützung und Betreuung pflegebedürftiger Menschen war nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Familie.
Nicht sichtbare Behinderungen
Die Griechen, die die Ideale der körperlichen und geistigen Tüchtigkeit verehrten, empfanden Menschen mit körperlicher Behinderung als unangenehm und achteten sie deshalb sehr gering. Aber Menschen, die wegen ihrer sinnes- oder geistigen
„Ausstattung“ oder ihres Aussehens dem Staat und der Gesellschaft nicht dienen oder gar kämpfen konnte, galten als für Staat und Gesellschaft als unnütz und
„teuer“ und hatte kein Lebensrecht.
Große Denker und ihre Eugenik Einige der großen Denker ihrer Zeit äußerten sich zu Behinderung wie folgt Aristoteles schrieb: „Der Gesetzgeber muss aber auch darauf achten, dass die Neugeborenen körperlich nach seinen Vorstellungen geraten." aus Aristoteles Politik 1335a. "Zur Aussetzung oder dem Aufziehen der Neugeborenen soll ein Gesetz vorschreiben, dass man kein behindertes Kind aufziehen darf;“ aus Aristoteles Politik 1335b. Und Platon empfahl den Staat sogar, verkrüppelte Kinder verhungern zu lassen. Quelle
Griechenland Der griechische Philosoph Plutarch berichtet, dass kranke oder missgebildete Kinder in die Schluchten des Berges Taygetos geworfen und so entsorgt wurden. Die Tötung aller behinderten Neugeborenen wurde in Sparta zum allgemeinen Interesse des Gemeinwohls erklärt und gesetzlich vorgeschrieben. Quelle
Die römische Antike
Das antike Rom war in machen Zeiten Menschen mit Behinderungen gegenüber etwas toleranter. So kamen sogar drei behinderte Kaiser an die Macht: Caesar (Epilepsie), Augustus (verkrüppelt durch Kinderlähmung) und Claudius (Sprachfehler). Aber auch in der römischen Antike wurde das Leben eines Menschen zuallererst nach seiner Brauchbarkeit und seinem Nutzen für die Gesellschaft definiert. Der hochgeschätzte römische Politiker und Philosoph Seneca schrieb ca. 60 v.Chr.: „Es ist nicht Zorn, sondern Vernunft das Unbrauchbare vom Gesunden zu trennen.“ (Seneca zit. nach Mattner 2000, 19 f.) Quelle Quelle Und weiter: Man sollte "ungestaltete Geburten" und Kinder, wenn sie "gebrechlich und missgestaltet zur Welt kommen" ersäufen und wie tolle Hunde umbringen, damit sie nicht wie krankes Vieh die Herde anstecken. DeMause 1982, S. 48, zit. nach Mattner 2000, S. 19f.
Das Leben von Menschen mit Behinderung hing also in erster Linie von ihren familiären Verhältnissen – besonders dem Wohlwollen des Vaters – und ihrem sozialen Umfeld ab. Fehlte die Unterstützung der eigenen Familie, mussten sie betteln gehen oder wurden – ähnlich wie uneheliche oder weibliche Kinder – ausgesetzt, getötet oder zur Belustigung der Massen vorgeführt.
Das Mittelalter
Im Mittelalter wurden mit der Ausbreitung des Christentums nach dem Prinzip der „Nächstenliebe“ erste gesetzlich geregelte „Armenpflegeheime“ gegründet, in denen teilweise auch Menschen mit Behinderung untergebracht und betreut werden durften.
Meist aber wurde Behinderung als „Strafe Gottes“ für sittliche Verfehlungen oder schlimmer als „Teufelsbesessenheit“ an- gesehen. Wenn sie Glück hatten, wurden Menschen mit Beein- trächtigungen nur verstoßen. Besonders „abartige“ Behin- derungen wurden auf so genannten Narrenmärkten als Attraktion gezeigt. Die meisten mussten aber verhungern, verdursten, wurden erschlagen, endeten im Gefängnis oder im Feuer.
Der Sachsenspiegel
Als Mittelalter versteht man die Zeit zwischen Antike und Neuzeit, also zwischen 500 und 1500 n. Chr.. In dieser Zeit veränderten sich Einstellung und Gesetze gegen-über Krankheit und Behinderungen zum Teil erheblich. Der Sachsenspiegel ist der wichtigste überlieferte Rechtstext des Mittelalters und ist ein illustrierte Rechtebuch, das eine Mischung aus mythischen und religiösen Vorstellungen enthält. Nach der Rechtsprechung des Sachsenspiegels musste bewiesen werden, wer als handlungs-, rechts-, lebens- und erbfähig galt. Quelle
Das Mittelalter: Gesundheit musste bewiesen werden Die Menschen mussten ihre körperliche Leistungsfähigkeit und Gesundheit häufig unter Beweis stellen. Behinderungen und Krankheiten galten als Strafe Gottes. Die Lebenssituation einiger Menschen verschlechterte sich, die Situation anderer verbesserte sich in Vergleich zu früher. Frauen mit Behinderungen konnten den Vorwurf, vom Teufel besessen zu sein, manchmal schon dadurch entkräften, dass sie zur Kirche gingen. Männer, denen eine Krankheit nachgesagt wurde, konnten versuchen ihre Leistungsfähigkeit zu beweisen, indem sie ohne Hilfe auf ein Pferd stiegen. Die Lage von Kindern, die eine Körperbehinderung hatten war schlimm: Sie durften misshandelt oder getötet werden, da ihnen eine Nähe zum Teufel unterstellt wurde. Diese Vorstellung vertrat auch Martin Luther noch zu Beginn der Neuzeit. (Quelle: Online Handbuch: Inklusion als Menschenrecht https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/)
Das Mittelalter: Fürsorge und Armenpflege
Die christlichen Kirchen gewannen im heutigen deutsch-sprachigen Gebiet immer mehr Einfluss. Dadurch änderte sich die Einstellung vieler Menschen zu Krankheiten und Behinderung und das veränderte auch die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen und die Rechtsprechung: Die Idee der sozialen Fürsorge und gesetzlich geregelte "Armenpflege" setzten sich im Laufe des Mittelalters zunehmend durch.
Erste spezielle Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen entstanden. Für bestimmte Personengruppen war es dennoch schwierig, aufgrund ihrer Behinderung ein gutes Leben zu führen: für arme Menschen, für Frauen und Kinder, für Menschen jüdischen Glaubens und andere. Ganz anders war die Situation für christliche Männer, die in Kriegen verwundet wurden, wie zum Beispiel Götz von Berlichingen, und für reiche, angesehene Männer wie Karl VI.. Sie hatten größere Handlungsspielräume und mehr Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten.
(Quelle: Inklusion als Menschenrecht https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/)
Das Mittelalter Behinderung als Jahrmarktsattraktion
In dieser Zeit entstand auch das Handwerk der Gaukler und Hofnarren. Menschen, die keiner anderen Arbeit nachgehen konnten, arbeiteten häufig in diesen Berufen. Menschen mit besonderen Körpern hatten häufig keine andere Möglichkeit Geld zu verdienen, als sich auf Jahrmärkten als sogenannte "Missgeburten" oder "Krüppel" zur Schau stellen zu lassen. (Quelle: Inklusion als Menschenrecht https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/)
In der Neuzeit
Die Neuzeit ist die Zeit zwischen 1500 n.Chr. und dem Anfang des
20. Jahrhunderts. Besonders die verheerenden Kriege, (30-jähriger Krieg u.v.a.m) und die Europaweiten Pest-, Diphterie- und Cholera-Erkrankungen sorgten für immens viele neue Personengruppen mit Beeinträchtigungen.
Die Neuzeit: Erste staatliche Einrichtungen In Europa setzt sich zunehmend das weltliche gegen das christliche Weltbild durch. Krankheit wird immer seltener als Strafe Gottes und immer öfter als medizinisches Problem betrachtet. In vielen Ländern findet ein Umdenken statt. In Europa wird dieses veränderte Denken, mit dem Begriff "Moderne" beschrieben. Zu den bestehenden kirchlichen Institutionen wie den Waisenhäusern für Kinder oder der sogenannten Armenpflege kommen nun auch staatliche Einrichtungen hinzu. Auch die beginnende Landflucht trägt dazu bei, dass ganze Familienverbände auseinanderbrachen und behinderte Familienmitglieder in staatlichen Einrichtungen versorgt werden mussten.
Die Neuzeit: Die Wiederherstellung der Arbeitskraft
Besonders um die im 30-jährigen Krieg verletzten Soldaten wurde sich gekümmert. Viele von ihnen hatten Gliedmaßen verloren und konnten nicht mehr arbeiten.
Für diese oft jungen, Männer wurden neue Einrichtungen aufgebaut, in denen sie Unterstützung erhielten. Ziel war es, ihre Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen.
Diese Einrichtungen sollten dazu beitragen möglichst viele Menschen wieder arbeitsfähig zu machen, um soziale Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden.
Die Neuzeit: Die Folgen der Industrialisierung
Kriegsfolgen, Krankheiten und Hungersnöte trieben viele Menschen, auch mit Behinderung, in die Städte. Mit Beginn der industriellen Revolution ab etwa 1760 veränderten sich die Arbeitsbedingungen drastisch. Viele Handwerksbetriebe wie
z.B. Weber verarmten, weil Maschinen die Arbeit schneller und billiger machten. Immer mehr Menschen arbeiteten in Fabriken und nicht zusammen mit der eigenen Familie in Handwerksbetrieben oder der Landwirtschaft. Eine Folge dieser Entwicklung war, dass immer weniger Menschen mit Beeinträchtigungen von ihren Familien unterstützt werden konnten. Gleichzeitig litten die in den industrienahen Wohngebieten lebenden Menschen unter neuen Krankheiten und Behinderungen, die durch die häufig schlechten hygienischen Bedingungen hervorgerufen wurden.
Die Neuzeit: Menschen werden in Gruppen eingeteilt Die Arbeitskraft des Einzelnen zu erhalten, war für den Staat wichtiger geworden. Entsprechend änderten sich auch die Politik und die Gesetze. Das soziale System wurde ausdifferenziert. Mediziner und Politiker begannen, unterschiedlichen Zielgruppen und Unterstützungsleistungen für Menschen zu unterscheiden: Männer, Frauen, Kinder, arme und reiche, arbeitende und arbeitslose Menschen hatten unterschiedliche Möglichkeiten, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ansprüche auf staatliche Leistungen waren häufig daran gebunden, ob jemand in Zukunft wieder arbeiten konnte. Kriegsverletzte Männer wurden rehabilitiert und als Arbeitskräfte wieder eingesetzt. Andere Menschen mit Behinderung, z.B. körperbehinderte Frauen, Kinder und Männer, wurden durch die Preußische Armengesetzgebung von 1891 von medizinischer Versorgung, von Ausbildung und beruflicher Rehabilitation ausgeschlossen. Diese Unterscheidungen führten am Ende der Neuzeit zur Gründung von Vereinen und Anstalten der Irren-, Krüppel- und Gebrechens Fürsorge. Die Sozialgesetze Kranken- versicherungsgesetz (1883), Unfallversicherungsgesetz (1884), Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz (1889) entstanden. https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/neuzeit/
Die Neuzeit: Die ersten Vorboten zeigen sich
Am Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1933, besonders nach dem ersten Weltkrieg, kümmerte man sich nun zunehmend um die medizinische Versorgung und psychiatrische Betreuung von behinderten Menschen. Parallel dazu befasste sich die sogenannte „Krüppelpädagogik“ mit den Ursachen von Krankheit und Behinderung. Kinder und Jugendliche durften nun auch zur Schule gehen, allerdings streng getrennt von nicht behinderten Kindern.
Das Recht des Stärkeren
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurde von dem britischen Pfarrer und Ökonom Thomas Robert Malthus die Theorie aufgestellt, dass die Industrialisierung schuld an der sich rasant entwickelnden Überbevölkerung sei und die damit verbundene Nahrungsmittelknappheit zu einem naturbezogenen Kampf ums Dasein führt.
Charles Darwin übernahm für seine Evolutionstheorie diese Annahme und setzte tierisches und pflanzliches natürliches Verhalten mit dem menschlichen Verhalten der englischen Gesellschaft in seiner Zeit gleich.
24.11.1859: Die Lehre von der Entstehung der Arten
Charles Darwins Buch "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtauswahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein“ erscheint.
Zitat daraus: „Die Erhaltung der günstigen Verschiedenen und Abänderung der Einzelwesen und die Vernichtung der schädlichen habe ich natürliche Auslese oder das Überleben der Tauglichen genannt…“ Quelle
Der Kampf ums Dasein
Die industrielle Revolution brachte folgenschwere und dauerhafte Veränderungen mit sich. Die vorher überwiegend ländliche Bevölkerung verarmte größtenteils und floh in die Städte. Der Kampf um Arbeit und Existenzsicherung bestimmte ab sofort das Leben und Überleben der sogenannten unteren Klassen.
Der Begriff des Sozialdarwinismus entsteht.
Die Entstehung des Sozialdarwinismus
Die Grundlage des frühen Sozialdarwinismus war das Nichteingreifen des Staates in die Geschicke sozial schwacher Menschen und die These, dass nur der Markt alles regeln könne, dürfe und solle. Überleben sollten dadurch nur die Stärksten, da nur sie den Anforderungen der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Lebens gewachsen seien, sich durchsetzen könnten und so die Gesellschaft voranbringen würden.
Krankheit und Behinderung im beginnenden Sozialdarwinismus
Am Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1933, besonders nach dem ersten Weltkrieg, kümmerte man sich zunehmend um die medizinische Versorgung und psychiatrische Betreuung von behinderten oder chronisch kranken Menschen. Parallel dazu befasste sich die sogenannte „Krüppelpädagogik“ mit den Ursachen von Krankheit und Behinderung. Kinder und Jugendliche durften nun auch zur Schule gehen, allerdings streng getrennt von nicht behinderten Kindern. https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/neuste-geschichte/
1895: "Natürliche Auslese und Rassenverbesserung“
Der britische Arzt und Professor für Physiologe John Berry Haycraft veröffentlicht sein Buch "Natürliche Auslese und Rassenverbesserung“. Quelle
1868: "Natürliche Schöpfungsgeschichte"
1868 veröffentlicht der deutsche Zoologe Ernst Haeckel seine "Natürliche Schöpfungsgeschichte" und überträgt als erster die Theorie vom Kampf ums Dasein auf die Völkergeschichte. Dabei nimmt er die künstliche Auslese lebensunwerten Lebens mit in sein Werk auf. Aufgrund seiner Überlegungen zur „künstlichen Züchtung“ des Menschen in modernen Gesellschaften gilt er als Wegbereiter der Eugenik https://de.m.wikipedia.org/wiki/Eugenik und Rassenhygiene https://de.m.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene in Deutschland. Nationalsozialistische Ideologen zogen Ausschnitte seiner Aussagen später als Begründung für ihren Rassismus https://de.m.wikipedia.org/wiki/Rassismus und Sozialdarwinismus https://de.m.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus heran.
22. Juni 1905
Der deutsche Arzt und Rassenforscher Alfred Ploetz gründet in Berlin die "Gesellschaft zur Rassenhygiene“. Quelle Diese Gesellschaft wollte die „Rassenhygiene“ als Wissenschaft begründen und trug stark zu ihrer Etablierung in Deutschland bei. Besonders intensiv setzte sich Ploetz für die Umsetzung folgender Themen ein:
* Die Armut der unteren Bevölkerungsschichten muss unter allen Umständen erhalten bleiben, dient sie doch zur ökonomischen Ausjäte unwerten Lebens
* Der Kampf ums Dasein darf nicht durch eine gültige Kranken- und Arbeitslosenversicherung beeinträchtigt werden.
Haeckel gilt als Wegbereiter der Erbgesundheitsforschung, -lehre und -pflege sowie der Rassenhygiene in Deutschland.
Eugenik und Rassenhygiene
Rassenhygiene ist die deutsche Version von Eugenik. Grundgedanke der Rassenhygiene ist die individuelle Gesundheitshygiene. Es galt der Grundsatz, das die Pflege und Heilung von Kranken, die Sorge um Behinderte zwar gut für den Betroffenen seien, aber schlecht für die Rasse. Die Nazis erklärten die Grundsätze der Rassenhygiene bei ihrer Machtübernahme zur offiziellen Politik. Es wurden eigene Kampagnen zur Last, die die Gesellschaft an den "Erbkranken“ zu tragen habe entwickelt und durchgeführt. https://www.t4-denkmal.de/eugenik-rassenhygiene
Das Grundkonzept der Nazis war Sozialdarwinismus.
1920: "Die Freigabe zur Vernichtung lebensunwerten Lebens"
Die Veröffentlichung des Buches "Die Freigabe zur Vernichtung lebensunwerten Lebens" des Psychiaters Alfred Hoche und des Strafrechtlers Karl Binding wird die Diskussion über die Akzeptanz lebensunwerten Lebens ausdehnen. Die Autoren verbreiteten die Meinung, dass Menschen einen unterschiedlichen Wert haben. Bis dahin gab es bereits viele Zwangssterilisationen, allerdings ohne gesetzliche Grundlage. https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtung_lebensunwerten_Lebens
Dieses Buch regte auch Überlegungen an, das menschliche Leben an wirtschaftlicher Rentabilität zu messen und damit die Ermordung von kranken oder behinderten Menschen zu rechtfertigen. Mit ihren Thesen lieferten Hoche und Binding die zentrale programmatische Grundlage für die NS- "Euthanasie". Der aus dem Altgriechischen stammende Begriff bedeutet eigentlich "schöner Tod", und wurde von den Nationalsozialisten als Umschreibung der systematischen Ermordung von Menschen mit Behinderungen, psychischen Krankheiten und sozialen Stigmata gebraucht. Quelle
1929
Auf dem Reichsparteitag der NSDAP verkündet Hitler, dass die Pflege von Kranken und Schwachen den natürlichen Ausleseprozess unterbindet und unter allen Umständen verhindert werden muss. Nutzen und Brauchbarkeit eines Menschen für die Gesellschaft steht ab sofort wieder an erster Stelle. https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/dossier-nationalsozialismus/39535/die-nationalsozialistische-bewegung-in-der-weimarer-republik/
30.01.1933
Hitler wird Reichskanzler und Göring spricht schon im März 1933 vom Kampf gegen den
„Schmutz der Gesellschaft.“
14. Juli 1933
Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" tritt in Kraft. Es schuf die Grundlage für die Zwangssterilisation von rund 500.000 Menschen. Quelle
Das Sterilisationsgesetz gilt für:
* angeborenen Schwachsinn , Schizophrene, Manisch- Depressive
* Epileptiker, Chorea Huntington
* Erbliche Blind- und Taubheit
* Schwere erbliche körperliche Missbildungen
18. Oktober 1935
Das „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes" wird als Ergänzung der Nürnberger Rassenhygienegesetze erlassen. Mit den Gesetzen "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" und dem „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes" haben die Nazis mit ihrer Idee von „Rassenhygiene" schon frühzeitig eine „legale" Basis geschaffen, um alle „Ballastexistenzen" zu vernichten.
1.9.1939
Hitler gibt den Euthanasiebefehl um "unheilbar kranken Kindern" den "Gnadentod" zu gewähren. Damit war die Tötung lebens- unwerten Lebens (Geisteskranke, Körperbehinderte, Epileptiker, Blinde, Gehörlose, u.v.a.m.) legal. Der Befehl sah vor, min. 20% der Menschen mit Behinderung zu töten. Dieser Befehl war der einzige von Hitler je persönlich unterzeichnete Auftrag zur Menschenvernichtung. (Quellen: Auszüge aus den Archiven der Friedrich-Ebert-Stiftung)
Der Euthanasiebefehl
Die "Euthanasie"-Aktionen der Nazis fanden parallel zueinander statt. Angeblich soll Hitler im Frühjahr 1939 das Schreiben eines Vaters erhalten haben, der um die Tötung seines behinderten Kindes bat. Hitler ermächtigte den Leiter der "Kanzlei des Führers", Philipp Bouhler, und seinen Leibarzt, Karl Brandt, das Kind zu töten und in ähnlichen Fällen genauso zu verfahren. Vorbereitet und organisiert wurde der systematische Massenmord von der Führungselite der "Kanzlei des Führers" und Ärzten. Zur Tarnung wurde der "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" gegründet, unter dessen Namen sie die Morde erfassen und verüben ließen. (Quellen: Auszüge aus den Archiven der Friedrich-Ebert-Stiftung)
Runderlass vom 18. August 1939 und Beginn der "Kinder-Euthanasie"
Ein zentrales Dokument für die "Kinder-Euthanasie" war der streng vertrauliche Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 18. August 1939. Er verpflichtete Ärzte und Hebammen, Kleinkinder und Säuglinge mit bestimmten "schweren, angeborenen Leiden" beim Reichausschuss zu melden. Entsprechend verfügten die Nazis die zwangsweise Registrierung aller Geburten von physisch und psychisch behindertet Kindern bis zum 3. Lebensjahr. Später wurde das Alter auf 16 Jahre hochgesetzt.
Runderlass vom 18. August 1939 und Beginn der "Kinder-Euthanasie„ II
In den sogenannten "Kinderfachabteilungen" der Heilkliniken wurden die Kinder anschließend für Experimente missbraucht und durch eine Injektion oder Verhungern getötet. Die Zahl der Opfer dieser "Kinder-Euthanasie" wird bis 1945 auf bis zu 8.000 geschätzt. Jedoch fielen auch anderen "Euthanasie"-Morden im Deutschen Reich und besetzten Gebieten tausende Kinder zum Opfer.
Runderlass vom 18. August 1939 III
Parallel dazu liefen Vorbereitungen, um auch kranke oder behinderte Erwachsene gezielt zu töten. Bouhler und Brandt baten Hitler um eine schriftliche Ermächtigung, die er am 9. Oktober 1939 erteilte. Um den Zusammenhang mit dem Krieg deutlich zu machen, wurde der Mordbefehl auf den 1. September 1939, den Tag des Kriegsbeginns zurückdatiert. Auch diese Ermordungen organisierte die "Kanzlei des Führers", die verschiedenen Tarnorganisationen gründete, um das Programm zu verschleiern.
Regelungen des Runderlasses vom 9. Oktober 1939
Der Runderlasse regelte u.a. die detaillierten Angaben des Meldebogens zu Krankheiten sowie zur Arbeitsfähigkeit. In einem beiliegenden Merkblatt[1 waren folgende Kriterien angegeben:
* Schizophrenie, Epilepsie, Encephalitis, Schwachsinn, Paralyse, Chorea Huntington, Menschen mit seniler Demenz, Manisch-Depressive oder anderen neurologischen Endzuständen, wenn sie nicht oder nur noch mit mechanischen Arbeiten beschäftigt werden konnten.
Regelungen des Runderlasses vom 9. Oktober 1939 II
Außerdem
* Menschen, die schon länger als fünf Jahre in der Anstalt waren.
* Kriminelle „Geisteskranke“.
* Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen oder nicht „deutschen oder artverwandten Blutes“ waren.
T4 Aktion ab Oktober 1939
Das Tötungsprogramm wird jetzt auch auf Erwachsene ausgedehnt. Der Erlass wird auf den 1. September 1939 zurückdatiert, um einen Zusammen-hang mit dem Kriegsbeginn herzustellen. Die Nazis erklärten das "internationale Finanzjudentum" zu Verantwortlichen für diesen Schritt. Auch diese Ermordungen organisierte die "Kanzlei des Führers", die verschiedene Tarn-Organisationen gründete, um das Programm zu verschleiern. Aufgrund des offiziellen Sitzes der verwaltungsintensiven Organisationszentrale mit sechs Abteilungen in der Berliner Tiergartenstraße 4 erhielt die Aktion den Namen „Aktion T4".
Die Berliner Tiergartenstraße 4 war die Zentralverwaltung für die Selektion der Opfer, die über einen Meldebogen erfasst wurden. Der Abtransport fand in eine der berüchtigten Vernichtungsanstalten Hadamar, Grafeneck, Sonnenstein, Brandenburg, Bernburg und Hartheim statt. Bis Ende des Jahres 1939 wurden offiziell über 70.000 Menschen mit Behinderung ermordet. Die meisten von ihnen wurden vergast. Den Familien wurden falsche Todesursachen und falsche Todesorte mitgeteilt, die Leichen verbrannt damit keine Nachforschung möglich waren.
Denkmal „Die grauen Busse“ in Weisenau einem Ortsteil von Ravensburg
Das Denkmal die „Grauen Busse“ stehen als "Transportmittel der Erinnerung" für die Euthanasie-Opfer des Nationalsozialismus und sollen sowohl an Opfer als auch Täter und die Taten erinnern. Die beiden Betonbusse, sind nach dem Vorbild der Transportfahrtzeuge der "Gemeinnützigen Krankentransport GmbH" - GEKRAT (eine Tarnfirma der Nazis) gebaut. Mit solchen Bussen wurden 1940 und 1941 691 Patienten aus der Einrichtung Weissenau als "lebensunwert" nach Schloss Grafeneck deportiert. Allein in Schloss Grafeneck starben 10.654 schwerbehinderte Männer, Frauen und Kinder in den extra für sie gebauten Gaskammern. http://www.dasdenkmaldergrauenbusse.de/
Steigende Sterblichkeitsraten nach "Widerruf"
Als die Aktion T4 bekannt wurde, widerruft Hitler 1940 MÜNDLICH den Euthanasiebefehl. Bis dahin waren bereits weit über 100.000 Menschen mit Behinderung gestorben. Die Tötungsaktionen an den Behinderten wurden aber heimlich bis zum Ende des 2. Weltkrieges ungestört fortgeführt. Sie fanden jetzt in speziellen Fachabteilungen der Krankenhäuser oder Heime, in Psychiatrien, in speziellen Pflege- und Krankeneinrichtungen statt. https://www.gedenkstaette-hadamar.de/
Nachrichten über die Tötungen werden publik
Informationen über diese Tötungen blieben nicht geheim, sondern verbreiteten sich innerhalb der Bevölkerung. Einige Familienangehörige wandten sich Hilfe suchend an die Polizei. Richter und Geistliche äußerten ihre Empörung und verlangten ein Ende der Tötungen eine gründliche Aufklärung des Geschehenen. Auf größere Proteste stieß die Aktion T4 in der Gesellschaft jedoch nicht.
Anfang August 1941 predigte schließlich der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen öffentlich gegen die Morde. Die darauf entstehende Unruhe führte dazu, dass die Aktion "T4" an Erwachsenen im Deutschen Reich auf Weisung Hitlers offiziell eingestellt wurde. Fortgesetzt wurde sie verdeckt an Kindern, in den Konzentrationslagern und in den besetzten Gebieten. http://lernen-aus-der-geschichte.de/sites/default/files/attach/projekt/euthanasie-der-toetungsanstalt-bernburg/b018t03d.pdf
Steigende Sterblichkeitsraten nach "Widerruf"
Als die Aktion T4 öffentlich bekannt wird, widerruft Hitler Ende 1941 MÜNDLICH den Euthanasiebefehl. Die Tötungsaktionen an den Menschen mit Behinderung => Krankenmorde wurden jedoch heimlich bis zum Ende des 2. Weltkrieges ungestört fortgeführt. Sie fanden jetzt in „Kinderfachabteilungen“ von Krankenhäusern, in Psychiatrien, in speziellen Pflege- und Krankeneinrichtungen statt. Der deutsche Hirnforscher Julius Hallervorden berichtete: „Es war wunderbares Material unter diesen Gehirnen, Schwachsinnige, Missbildungen und frühe Kinderkrankheiten.“ Die Patienten sollten auch die medizinische Forschung voranbringen, u. a. die Erforschung von Infektionskrankheiten, Entwicklung von Impfstoffen und neurologische Untersuchungen an Gehirnen.
3. April 1940: Bericht an den Deutschen Gemeindetag
SS-Oberführer Viktor Brack, einer der maßgeblichen Organisatoren der Krankenmorde der Aktion T4 an den Deutschen Gemeindetag: „In den vielen Pflegeanstalten des Reiches sind viele unheilbar Kranke jeder Art untergebracht, die der Menschheit überhaupt nichts nützen, vielmehr nur zur Last fallen, unendliche Kosten der Verpflegung verursachen, und dabei ist keinerlei Aussicht vorhanden, dass diese Menschen je wieder gesund werden können. ... Wenn man heute schon Vorkehrungen für die Erhaltung gesunder Menschen treffen muss, dann ist es umso notwendiger, dass man diese Wesen zuerst beseitigt und wenn das vorerst nur zur besseren Erhaltung der in den Heil- und Pflegeanstalten untergebrachten heilbaren Kranken ist.“
Die tödliche Selektion der Anstaltsinsassen betrifft neben Juden gezielt auch Langzeitpatienten, Vorbestrafte, „Zigeuner“ und allgemein Ausländer speziell nichteuropäischer Herkunft. Selbst altgediente aber traumatisierte Soldaten wurden von der Vernichtung nicht ausgeschlossen. https://de.wikipedia.org/wiki/Krankenmorde_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
Hungerkost-Erlass des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren
Der Hungerkost-Erlass des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren schloss 1942 direkt an die Einstellung der Aktion T4 an. Es wurde verfügt, dass nicht arbeitsfähige psychiatrische Patienten eine besondere „Sonderkost“ erhielten, die so reduziert wurde, dass nach spätestens drei Monaten mit ihrem Tod zu rechnen war. Dieser Erlass führte zum Tod vieler tausender Psychiatrie-Patienten in Bayern. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hungerkosterlass_(30._November_1942)
Offizielle Zahlen
Man geht heute offiziell davon aus, dass etwa über 400.000 Menschen mit Behinderung in den Tötungszentren vergast, erschlagen, in sadistischen medizinischen Experimenten zu Tode gequält, verhungert oder verdurstet sind. Die Dunkelziffer der in dieser Zeit getöteten Menschen mit Behinderungen wird wesentlich höher geschätzt.
Die Situation von Menschen mit Behinderung nach dem 2. Weltkrieg
Die Zahl der Kriegsopfer und Kriegsversehrten nach Ender des 2. Weltkriegs ging in die Millionen. Die meisten Behinderungen waren alle Arten von Körperbehinderungen
und Sinnesbeeinträchtigungen aber auch Depressionen, Phobien, Posttraumatische Belastungsstörungen kamen sehr häufig vor.
Definition Kriegsversehrte
In den ersten Monaten nach Kriegsende wurden ca. eineinhalb Millionen attestierte, d. h. staatlich anerkannte Kriegsversehrte gezählt. Als Kriegsversehrt galt, wessen Arbeitsfähigkeit um mindestens 25% durch kriegsbedingte Verletzungen eingeschränkt war. Allein in der sowjetischen Zone lebten nach 1945 ca. 245.000 Kriegsversehrte.
Was geschah nach 1945 mit den Opfern und den Tätern?
Den Überlebenden der „Kranken- und Pflege- Einrichtungen“, sowie den Zwangssterilisationen, deren Angehörigen erging es auch nach Kriegsende 1945 nicht gut. Die Betroffenen wurden nicht als Opfer der Nazi- Verfolgung anerkannt. Sie erhielten weder Mitgefühl, Unterstützung oder Hilfe. Niemand entschuldigte sich bei ihnen. Weder die Sieger noch die die Bevölkerung brachten Verständnis für ihre Situation und Not, auf.
Im Gegenteil.
Es gab sehr viele Menschen, die immer noch der festen Überzeugung waren, dass Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen oder anderen schweren Krankheiten „minderwertig und deshalb lebensunwert“ seien und meinten, dass Zwangssterilisationen auch weiterhin wichtig für eine gesunde Bevölkerung seien.
Der Nürnberger Ärzteprozess
In vielen weiterbetriebenen sogenannten Heil- Anstalten starben die Patienten auch lange nach Kriegsende noch an den schlechten Behandlungen, an Hunger und Durst, an ansteckenden Krankheiten u.a.. Im Nürnberger Ärzteprozess (1946-47) wurden nur einige wenige Ärztinnen und Ärzte, meist aus den KZs, wegen ihren Beteiligungen an den „Euthanasieprogrammen“ verurteilt. 1961 wurden ehemalige Nazi-Ärzte und Nazi- Gutachter, die nachweislich an der »Aktion T4« oder an anderen medizinischen Verbrechen beteiligt waren, vom CDU/CSU geführten Deutschen Bundestag als Experten zu Zwangssterilisationen befragt und begründeten erneut, warum Zwangssterilisationen für die Gesundheit eines Volkes so wichtig seien. Die meisten Ärzt:innen und Pfleger:innen konnten nach 1945 unbehelligt weiterarbeiten, trotz direkter oder indirekter Beteiligung an der Ermordung tausender behinderter Menschen. Es gab nur wenige harte Urteile. Die meisten Gerichtsverfahren endeten mit einem Freispruch oder mit Verfahrenseinstellung. Erst ab ca.1980 begann die öffentliche Erinnerung an die Opfer und die Aufarbeitung der Euthanasiemorde. https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCrnberger_%C3%84rzteprozess
Weiterführung der Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
In der sowjetischen Besatzungszone hob die Militärverwaltung die "Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" bereits im Januar 1946 auf. Die Urteile der nationalsozialistischen "Erbgesundheitsgerichte" hingegen wurden in beiden Teilen Deutschlands vollständig als gültige Grundlagen für staatliche Behörden übernommen. https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Verh%C3%BCtung_erbkranken_Nachwuchses
Weiterführung der Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
Die Sozialämter in der BRD übernahmen in vollem Umfang die bereits vor 1945 angelegten Akten über die Menschen, die als sozial auffällig, verarmt, krank oder behindert galten.
Das galt auch für die dort festgehaltenen menschenverachtenden Beurteilungen und rassistischen Entscheidungen, die häufig als Grundlage für weitere Entscheidungen und Beurteilungen der Nachbearbeitenden in den zuständigen Ämtern herangezogen wurden. Auf solchen und vielen anderen Wegen wurde das Unrecht der Nazis in der BRD noch lange fortgesetzt.
Erst am 24. Mai 2007 konnte der Bund der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten erreichen, dass der Deutsche Bundestag die nationalsozialistischen "Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" als von Anfang an nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar und deshalb ungültig erklärte. https://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/wir-ueber-uns/
Die Nachkriegsjahre in der BRD
Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Menschen mit Behinderungen hatte sich in den Nachkriegsjahren kaum verändert. Im Mittelpunkt standen außer Fürsorge und medizinischen Maßnahmen vor allem die Sortierung nach dem Kriterium der Brauchbarkeit und Arbeitsfähigkeit.
Außerdem wurde vielen Menschen, die aufgrund von Behinderungen oder Krankheiten während des Nationalsozialismus verfolgt und verletzt wurden, (bis heute) staatliche Entschädigung verweigert.
In der neuen Bundesrepublik Deutschland lehnten Begutachtende in den 60er-Jahren Zahlungen im sogenannten "Wiedergutmachungsausschuss" des Bundestages mit der Begründung strikt ab, „dass ein neues Sterilisationsgesetz in den kommenden Jahren wahrscheinlich und sinnvoll sei und auch in der Bevölkerung große Zustimmung finden werde. Aus diesem Grund sei es widersinnig, bereits durchgeführte Zwangssterilisationen als Unrecht anzuerkennen und die Betroffenen zu entschädigen.“
Von Beginn an wurde in der Bundesrepublik Deutschland an die bereits vor dem Krieg bestehenden Strukturen der Krüppeleinrichtungen, Werkstätten und Sonderschulen angeknüpft und diese weiter ausgebaut. Durch dieses besondere Bildungs- und Arbeitssystem gab es auch weiterhin nur wenig Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen. Für Menschen mit Behinderungen war es sehr schwierig, aus diesen speziellen Strukturen in eine auch weiterführende - Schule, eine Ausbildung oder an eine Hochschule zu wechseln. Die Chancen auf gute Bildung, Aus-, Fort- oder gar Weiterbildung wurde Menschen mit Behinderung schwer gemacht und z.T. verwehrt.
Sie hatten dadurch kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt und erhielten auch im Vergleich viel weniger Geld für ihre Arbeit.
Sozialpolitik für Menschen mit Behinderung in der BRD
Die Grundlagen der bundesdeutschen Behindertenpolitik blieben weiterhin die medizinische Beurteilung über die Arbeitsfähigkeit und die Rehabilitation. Unter Rehabilitation verstand man die funktionale "Wiederherstellung" der Arbeitskraft durch medizinische Eingriffe sowie die Befähigung zur Erwerbsarbeit in beruflichen Rehabilitationseinrichtungen.
Menschen mit Behinderung konnten öffentlich wie politisch kaum Einfluss auf diese Form von Fremdbestimmung nehmen. Das galt auch für die Organisationen der Kriegsbeschädigten, die in den 50er und 960er Jahren versuchten Politik und Bevölkerung auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Um Ansprüche bei den sozialen Leistungsträgern geltend machen zu können und Nachteils- ausgleiche zu erhalten, mussten sich Menschen mit Behinderung immer wieder demütigen lassen oder sich selbst als behindert, arm und hilfebedürftig kennzeichnen.
Die drei Faktoren der sozialstaatlichen Hilfen
Grundlage zur Ermittlung der Rehabilitationsbedarfe von Menschen mit Behinderung waren die Bedürfnisse eines erwachsenen Mannes mit körperlicher Beeinträchtigung, der bereits gearbeitet hatte.
Erst in den 60er und 70er Jahren wurden auch Behinderungen anderer Art und Ursache anerkannt. Menschen mit intellektuellen und seelischen Beeinträchtigungen wurden auch weiterhin nicht berücksichtigt.
Durch den wirtschaftlichen Aufschwung der 50er Jahre konnten eine Anpassung weiterer Hilfen bei vielen Behinderungsarten, dem Aufbau notwendiger regionaler Strukturen und eine Anpassung der Maßnahmenkataloge nach und nach durchgerührt werden.
Der Rehabilitationsgedanke wurde 1959 in der Rentenversicherung und 1974 in der Krankenversicherung festgeschrieben. 1970 wurden auch Studierende, Schüler und Kindergartenkinder in die Unfallversicherung aufgenommen und dadurch der Kreis der Hilfeberechtigten deutlich erweitert.
Die Bundesanstalt für Arbeit bezahlte bereits seit 1957 Leistungen zur Rehabilitation. Durch das Arbeitsförderungsgesetz wurde sie 1969 zu einem der wichtigsten Rehabilitationsträger.
Dieses System umfasste alle Leistungsbereiche der sozialstaatlichen Hilfen bei Behinderung: Sozialversicherung, Versorgungswesen und die öffentliche Fürsorge- und Sozialhilfe. Es vereinte außerdem die unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen, Kompetenzen, finanziellen und räumlichen Ressourcen.
SPD beginnt 1969 eine neue Behindertenreform
Willy Brandt (SPD) sprach als erster deutscher Bundeskanzler die Situation von Menschen mit Behinderung konkret an und forderte auch für Menschen mit Behinderung ein gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft.
"Die Qualität des Lebens für die Behinderten in unserer Gesellschaft ist ein Spiegel der Qualität der Gesellschaft", verkündete 1974 Bundesarbeitsminister Walter Arendt (SPD). Quelle
Demokratische Grundwerte, Gleichbehandlung und Humanität sollten die Gesellschaft prägen und über das Sozialleistungsrecht Chancengleichheit für alle Menschen herstellen.
Dieser Anspruch wurde 1974 mit dem Rehabilitationsangleichungsgesetz verwirklicht. Damit wurden die bisherigen sozialen Ungleichheiten zwar ansatzweise behoben, das Gegliederte System selbst blieb aber unangetastet. Quelle
Auch die Beschränkungen auf Wiederherstellung und Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt mussten reformiert werden. Dazu gehörte auch die barrierefreie Gestaltung der Umwelt durch den Abbau von Hindernissen im öffentlichen Raum und Gebäuden. Behindertenpolitik sollte sich direkt an den gesellschaftlichen und nicht mehr ausschließlich an den individuellen Erfordernissen orientieren. Menschen mit Behinderung scheiterten öfter an ganz normalen Umweltbedingungen. In den 70er Jahren ruckten z. B. auch Mobilität
und Flexibilität zunehmend in den Focus. Kritisiert wurde, dass oft nur mobile und finanziell unabhängige Bevölkerungsgruppen die Vorteile nutzen konnten. Gleichstellung wurde von der Bundesregierung ideell und materiell gefördert.
Kompetenzstreitigkeiten führten dazu, dass nur zwei DIN-Normen zum barrierefreien und behindertengerechten Bauen auf den Weg gebracht werden konnten, weil diese mit Rehabilitations- und strukturellen Anpassungen verknüpft werden mussten.
Der langsame Wandel in den 1970er Jahren
Das langsame Umdenken in der Gesellschaft wurde durch die aufkommenden neuen Medien in den 60er und 70er Jahren unterstützt und verstärkt. Die Frage, welchen Platz Menschen mit Behinderung in einer demokratischen und humanen Gesellschaft einnehmen sollten und wie sie zu benennen sind, wurde offen gestellt. Behinderte Menschen galten immer noch als unselbständige, hilfebedürftige Empfänger von Sozialhilfe und Fürsorge. Die SPD-Politiker Bundespräsident Gustav Heinemann, Bundeskanzler Willy Brandt und Bundesarbeitsminister Arendt benannten Menschen mit Behinderungen jetzt als "behinderte Mit-Bürger". Bürger der BRD zu sein, hieß mündig zu sein, Rechte und Pflichten zu haben und gleichberechtigt leben zu können.
Der Beginn der Behindertenpolitik in der BRD
In den 60er-Jahren gründeten Eltern von Kindern mit Behinderungen die ersten Selbsthilfeorganisationen, beispielsweise "Aktion Sorgenkind" (heute "Aktion Mensch" https://www.aktion-mensch.de/). Durch Spendenkampagnen konnte Kindern, die bis dahin als "nicht bildungsfähig" galten, eine bessere Bildung ermöglicht werden. Auch Behinderteneinrichtungen konnten durch Spendengelder besser ausgestattet werden. Gleichzeitig verfestigte sich dadurch auch wieder die Ansicht vieler Leute, Menschen mit Behinderungen seien krank, zu bemitleiden und vorwiegend medizinisch zu behandeln.
Die wichtigsten Veränderungen erkämpften in der BRD vor allem die Menschen mit Behinderungen selbst. Bereits in den 70er-Jahren begannen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, sich aktiv gegen ihre ständige Ausgrenzung und Bevormundung zu wehren.
In Bremen traten am 18.2.1981 Menschen mit Behinderung in den Hungerstreik. Sie forderten: „auch Menschen, die einen Rollstuhl nutzen, müssen Zugang zu Bus und Bahn haben“. Quelle Diese "Krüppelgruppen“ schockierten mit ihren Opferbildern. Auch die von ihnen selbst gewählte Bezeichnung „Krüppel“ sollte provozieren und damit Menschen mit Behinderung auffordern, sich aus der Opferrolle zu befreien. Quelle
Ab 1968 entstehenden die „Clubs Behinderter und ihrer Freunde e.V.“. Quelle Sie setzten auf eine gemeinsame und enge Zusammenarbeit, besonders beim Abbau von Barrieren auf lokaler Ebene. Die Zusammenarbeit von „Krüppelgruppen“, den "Clubs Behinderter und ihrer Freunde e.V." und anderen Behindertenverbänden fand 1980 einen ersten Höhepunkt in einer gemeinsamen Protestveranstaltung, die es sogar in die "Tagesschau" schaffte: Gemeinsam protestieren sie in Frankfurt gegen das Urteil des dortigen Landgerichts das einer Urlauberin eine Reispreisminderung zuerkannte, weil „ihr Urlaubserlebnis durch die bloße Anwesenheit von behinderten Jugendlichen maßgeblich beeinträchtigt worden sei.“ Quelle Quelle
Als das von der UNO-Vollversammlung 1981 ausgerufene „International Year of Disabled Persons“ auch in der Bundesrepublik Deutschland gefeiert wurde, schlugen die Wellen erneut hoch, weil Menschen mit Behinderung in die Planungen kaum einbezogen worden waren.
Dieser Affront führte 1981 in Dortmund zur Gründung des sogenannten „Krüppeltribunals“. Frauen und Männer aus verschiedenen Behindertenselbsthilfe-Vereinigungen und -organisationen thematisierten ihre Aussonderung und Diskriminierung. Und sie thematisierten erstmals gemeinsam die vielfältigen Menschenrechtsverletzungen in vielen Pflegeeinrichtungen, die diskriminierenden Mobilitätsbeschränkungen sowie die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Quelle
Der seit 1990 in den USA verabschiedete Americans with Disabilities Act und die 1993 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Rahmenbestimmungen über die Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen spielten dabei eine wichtige Rolle. Auch politisch engagierten sich die ersten Gruppen und stritten überparteilich für eine Gleichstellungs- und Antidiskriminierungs- gesetzgebung. Und sie griffen vehement in die wieder geführten Diskussionen über Eugenik ein.
Die Nachkriegsjahre in der DDR
In der DDR stand die allgemeine Teilhabe am Arbeitsmarkt im Vordergrund. Sie wurde vom Staat gefördert, deshalb sollten auch so viele Menschen mit Behinderungen wie möglich in staatlichen Betrieben arbeiten. Allerdings wurden Menschen mit Behinderung, die nicht arbeiten konnten, in Heime und Pflegeheime, Wochentagesstätten, Krankenhäuser, psychiatrischen Kliniken und Fördereinrichtungen eingewiesen, wo sie unter teilweise unwürdigsten Umständen lebten. In diesen Wochentagesstätten, Heimen, Krankenhäusern, psychiatrischen Kliniken und Fördereinrichtungen der DDR lebten von 1945 bis 1960 mehr als 140.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Die Zahl der erwachsenen Menschen mit Behinderung ist nicht bekannt. Viele von ihnen waren dort dauerhaft stationär untergebracht, weil es keine anderen Betreuungsmöglichkeiten gab und beide Elternteile arbeiten mussten. Die Versorgung der schwerbehinderten Kinder und Jugendlichen reichte in der Regel nicht aus, sodass die Schwächsten der Gesellschaft nur selten angemessene Verpflegung, Betreuung und sonstige Unterstützung bekamen. Allgemeine Isolation und gesellschaftliche Ausgrenzung der behinderten Kinder und ihre Familien waren die Folge, denn auch die Unterstützung der Angehörigen war mangelhaft. Die Gründe für die schlechte Versorgungslage in den Betreuungseinrichtungen für Menschen mit Behinderung waren nicht selten Vorurteile, mangelndes politisches und öffentliches Interesse gegenüber Menschen mit Behinderungen, aber auch fehlende Ressourcen. Die betroffenen Kinder und ihre Eltern konnten nur wenig dagegen unternehmen. Medizinische, pädagogische und politische Entscheidungen über Lebenswege und - gestaltung behinderter Kinder wurden vom Staat getroffen. Unabhängige Interessenverbände und Betroffenen- organisationen gab es nicht. Menschen mit Behinderungen und deren Eltern hatten nur wenige Möglichkeiten, auf sich und ihre Situation aufmerksam zu machen. Ihre finanzielle Absicherung war allerdings viel besser als in der Bundesrepublik. Die zentrale Verwaltung für Volksbildung beschloss noch vor Gründung der DDR für das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone das Recht auf Bildung für alle Kinder. Dieses Ziel ließ sich jedoch nicht erfüllen, da nicht nur das nötige pädagogische Wissen fehlte, sondern auch die Schulen nur schlecht erreichbar oder schlecht ausgestattet waren. So wurden ab 1960 alle behinderten Kinder in der DDR flächendeckend erfasst. Sie wurden nach ihren intellektuellen Fähigkeiten als „bildungsfähig“ oder „bildungsunfähig“ eingestuft. Für das sozialistische Leistungsgedanken zählte die spätere Eingliederungsmöglichkeit in die Arbeitswelt, wobei ökonomische Interessen eine große Rolle bei den Entscheidungen über Bildungs- und Förderfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen spielten. „Bildungsfähige“ Kinder und Jugendliche wurden in Sonderschulen gefördert. „Nicht schulbildungs- jedoch lebenspraktisch förderungsfähig“ eingestufte Kinder und Jugendliche durften, wenn es genug Betreuungsplätze gab, nur eine Tagesstätte oder Fördereinrichtung besuche. Es gab Sprachheilschulen, Hilfsschulen für lernbehinderte Kinder, Sonderschulen für sehschwache, blinde, gehörlose, körperbehinderte, chronisch kranke und verhaltensauffällige Kinder. Diese Schulen waren oft Internate, weil es selten eine wohnortnahe Versorgung gab. Die vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten entsprachen oft dem, was auch in den Regelschulen gelehrt wurde. Auch wurde Unterstützung bei der Berufswahl, einem Betrieb oder einem Rehabilitationszentrum für Berufsbildung angeboten. Da es kaum Barrierefreiheit gab, waren Kinder mit schweren oder schwersten körperlichen und intellektuellen Beeinträchtigungen meist von einem Schulbesuch ausgeschlossen. Pädagogische Richtlinien zur Arbeit mit geistig schwer behinderten Kindern und Jugendlichen, die als „förderfähig“ galten, wurden erst 1973 verabschiedet. Um die Betreuung von schwerstbehinderten Menschen kümmerten sich vor allem die Kirchen. Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderung wurden besonders gefördert und konnten mit guten schulischen Leistungen auch den Zugang zu einer Hochschule erreichen. Bildung, Beruf und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben behinderter Kinder und Jugendlicher in der DDR hing also sehr von der jeweiligen Art von Behinderung ab sowie vom Engagement der Ärzte, Pflegekräfte, Eltern und den finanziellen Mitteln. Neben den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland verfügte die DDR über das den individuellen Ansprüchen von Kindern und Jugendlichen am besten angepasste Sonderschulwesen in Europa.Quelle
Behindertenpolitik nach der Wiedervereinigung
Nach der Wiedervereinigung 1990 wurden deutlich mehr Gesetze, die sich auf Menschen mit Behinderungen bezogen, aus der Bundesrepublik übernommen als aus der DDR.
Gleiches gilt für Schulsysteme und Ansätze der Behindertenrechtsbewegung. Die Behindertenorganisationen und -verbände, die vor der Wiedervereinigung in der BRD aktiv waren, setzen ihre Aktionen in den folgenden Jahren auch weiterhin fort. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung konnten sie am 15. November 1994 durch ihr Engagement eine Grundgesetzänderung erreichen. Das Verbot der Benachteiligung aufgrund von Behinderung wurde in Artikel 3, Absatz 3, in das Grundgesetz aufgenommen: 'Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.' Quelle
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
1946 und 1947 fanden die ersten Verhandlungen der 1945 gegründeten Vereinten Nationen über die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ statt.
1948 einigten sich 48 Staaten auf den Text dieser Erklärung.
„Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ ist eine Reaktion auf "die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte, die zu Akten der Barbarei geführt haben" (Präambel).
In ihr ist festgehalten, dass alle Menschen eine angeborene Würde sowie gleiche und unveräußerliche Rechte haben, die geschützt werden müssen.
Menschen mit Behinderungen wurden allerdings in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht erwähnt. Erst in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die 1990 in Kraft trat, wurden zum ersten Mal ausdrücklich Kinder mit Behinderungen berücksichtigt.
UNO
Mit dem U.N. – Welt-Aktionsprogramm für behinderte Menschen von 1982 verfolgte die UNO neben den traditionellen Zielen der Prävention und Rehabilitation als drittes Ziel die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung als Zielvorgabe für die U.N.- Behindertendekade (1983 – 1992).
Behinderung wurde auch weiterhin als individuelles medizinisches Defizit, also körperliche, seelische oder geistige Beeinträchtigung bzw. als sozialpolitische also gesellschaftliche Behinderung gesehen. Behindert ist man nicht, behindert wird man. Erst später kam der Gedanke zur Etablierung von Behinderung als Menschenrechtsthema.
Der lange Weg zur Inklusion 1993 - 2001
Der damalige UN-Sonderberichterstatter Leandro Despouy legte seinen Bericht über die weltweiten Ausmaße der Menschenrechtsverletzungen an Menschen mit Behinderungen (MmB) vor. 1993 wurden außerdem die UN-Rahmen- bestimmungen zur Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung geschaffen
* UN-Standard Rules
Dezember 2001
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen entschied, dass die Zeit für eine Behindertenrechtskonvention gekommen sein könnte, um die Menschenrechte der damals etwa 600 Millionen Menschen mit Behinderung weltweit zu schützen.
Auf Initiative von Mexiko verabschiedet die UN die Resolution 56/168, mit der ein Ad-Hoc- Ausschuss ins Leben gerufen wurde, der erste Vorschläge für eine solche Konvention sammeln sollte. Es geht auch heute noch darum, die internationalen Menschenrechte und ihre Schutzmechanismen auf bislang ignorierte Opfergruppen anzuwenden.
2002 veröffentlichen Gerard Quinn und Theresia Degener die UN-Studie „Human rights and disability“, in der die Notwendigkeit einer Behindertenrechtskonvention verdeutlicht wurde.
Dezember 2003: Ein Ausschuss erarbeitet die Konvention. Zum ersten Mal wurden auch ganz bewusst Menschen mit Behinderung (MmB) in eine internationale Regierungsdelegation berufen. Deutschland wurde von Theresia Degener in der Regierungsdelegation vertreten.
Januar 2004: Die Arbeitsgruppe legt den ersten Entwurf der UN-BRK vor.
August 2006: Ad hoc-Komitee beendet seine Arbeit mit seiner 8. Sitzung.
Dezember 2006: UN-Vollversammlung verabschiedet die UN-BRK.
3. Mai 2008: Die UN-NRK tritt in Kraft.
UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland
1. Januar 2009: Das Ratifikationsgesetz zur UN-BRK tritt in Deutschland in Kraft
26. März 2009: Die UN-BRK gilt in Deutschland
Die UN-BRK gilt als das erste große Menschenrechtsdokument des 21. Jahrhunderts
Sie enthält 50 Artikel zu den Rechten von Menschen mit Behinderung + 1 Zusatzprotokoll. Keine andere UN-Konvention wurde schneller und mit so hoher Zustimmung verabschiedet wie die UN-BRK. 182 Mitgliedsstaaten haben die UN-BRK und 98 Staaten haben auch das Zusatzprotokoll ratifiziert (Stand: April 2021). Die Konvention wurde über fünf Jahre erarbeitet. Sie betrifft mehr als 650 Millionen Menschen mit Behinderung weltweit.
Noch nie wurde die Zivilgesellschaft so stark in die Entstehung eines so wichtigen internationalen Bekenntnisses einbezogen!
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist eine Menschenrechtscharta. Sie garantiert die Menschenrechte aus Sicht und für alle Menschen mit Behinderungen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention
Das von den Vereinten Nationen im Dezember 2006 verabschiedete Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist eine Menschenrechtskonvention. Mit dieser völkerrechtlichen und behindertenpolitischen Vereinbarung haben die Vereinten Nationen einen beispielhaften Reformschritt vollzogen.
Zitat Theresa Degener, deutsche Juristin: „Die Behindertenrechtskonvention (BRK) ist nicht nur die erste verbindliche Völkerrechtsquelle, die die Menschenrechte behinderter Personen zum Thema hat, sie ist zugleich der erste Menschen-rechtspakt, der eine Reihe von Modernisierungen im internationalen Völkerrecht einläutet.“ „Dieser erste Menschenrechtsvertrag des neuen Millenniums ist zudem ein Völkerrechtspakt, an dem die nationalen Menschenrechtsinstitutionen als neue Akteure auf der globalen Menschenrechtsbühne mitwirkten." Quelle
Als das Vertragswerk am 30. März 2007 erstmalig ausgelegt wurde, unterzeichneten bereits über achtzig Mitgliedsstaaten. Das ist ein Novum in der Völkerrechtsgeschichte. Die BRK ermöglicht auch erstmalig regionalen Organisationen wie der EU den Beitritt. Nach der 20. Hinterlegung der Ratifikations- urkunde und der Unterzeichnung von 139 Signatarstaaten trat der Vertag am 3. Mai 2008 in Kraft und belegt damit Rang 2 der Menschenrechtskonventionen mit den meisten Mitgliedsstaaten. Rang eins belegt die Kinderrechtskonvention.
*Wie setzt sich die UN-BRK zusammen?**
Die UN-BRK besteht aus zwei völkerrechtlichen Verträgen:
* dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung und
* einem *Fakultativprotokoll** das besondere Verfahren im Zusammenhang mit der Umsetzung der UN-BRK enthält.
Was ist ein Fakultativabkommen?
Ein Fakultativprotokoll oder -abkommen ist die Ergänzung für ein internationales Übereinkommen, dessen Unterzeichnung unabhängig vom Vertragswerk und nicht verpflichtend ist. Die Staaten können wählen, ob sie nur das Übereinkommen, oder auch das Fakultativabkommen unterzeichnen und ratifizieren wollen.
Die Konvention
Der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeld, bezeichnet die UN-BRK als „Empowerment“-Konvention, die nicht nur eine Abkehr von der traditionellen, am Fürsorgeprinzip orientierten Behindertenpolitik signalisiert, sondern auch wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Menschenrechtstheorie gibt.“ „Sie nachte deutlich, dass die Anerkennung von Behinderung als Bestandteil menschlichen Lebens zur Humanisierung der Gesellschaft insgesamt führt.“ Quelle
Die allgemeinen Bestimmungen der UN-BRK
Die UN-BRK besteht neben der unverbindlichen Präambel aus 50 Artikeln. Die ersten neun Artikel benennen den allgemeinen Teil der BRK, der Bestimmungen enthält, die alle weiteren Artikel des Abkommens mit beeinflussen. Quelle
Dazu gehören:
* der Zweck der Konvention (Art. 1),
* die Definitionen (Art. 2) und
* die allgemeinnnen Prinzipien (Art. 3)
Außerdem Bestimmungen zu
* behinderten Frauen (Art. 6)
* behinderten Kindern (Art. 7)
* Förderung des öffentlichen Bewusstseins über Behinderung (Art. 8)
* Barrierefreiheit (Art. 9)
Der Katalog der Menschenrechte Umsetzung und Überwachung
Die Artikel 10-30 regeln die einzelnen Menschenrechte aus Sicht der Menschen mit Behinderung. In den Artikeln 31-40 werden die Umsetzung und die Überwachung des Abkommens geregelt.
Schlüsselbestimmungen
In den Artikeln 41-50 werden die üblichen technischen Regelungen von Völkerrechtsverträgen, wie z. B. die Ratifikationsbestimmungen aufgeführt.
Das Fakultativabkommen oder Protokoll
Das aus achtzehn Artikeln bestehende Fakultativprotokoll (FP) zur BRK sieht als Überwachungsverfahren u.a. die Möglichkeit der Individualbeschwerde und das Untersuchungsverfahren vor. Quelle
Der Staatenbericht
Die UN-BRK wird auf internationaler Ebene durch einen Vertragsausschuss, der aus zwölf unabhängigen Expert:innen besteht, überwacht. Im November 2008 kamen diese erstmalig zusammen. Der Ausschuss überprüft und bewertet regelmäßig Berichte der Unterzeichnerstaaten über die Umsetzung der UN-BRK in ihren Ländern.
Dieses Verfahren hat sich in der Vergangenheit bewährt, da es sowohl den aktuellen Stand der Inklusionsfortschritte, aber auch die Schwächen hinsichtlich ihrer Umsetzung aufzeigt. Nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ sind bei der Kontrolle von Durchführung und Umsetzung der UN-BRK die Behindertenverbänden und - Organisationen umfassen mit eingebunden.
Unterzeichnung, Übersetzung und Ratifizierung
Deutschland war einer der ersten Mitgliedsstaaten, die die UN-BRK sowie das Fakultativprotokoll bereits am ersten Tag der Auslegung zur Unterzeichnung, also am 30. März 2007 unterschrieben haben. Nach Artikel 59 Abs. 2 GG waren für die Ratifikation der UN-BRK die Zustimmung des Bundestages sowie des Bundesrates notwendig. An 8.11.2008 schaffte die Bundesregierung mit dem Ratifizierungsgesetzentwurf hierfür die rechtlichen Voraussetzungen.
Die Veröffentlichung folgte am 21.Dezember 2008. Bereits im Vorfeld der Ratifizierung wurden heftige Diskussionen geführt, da die in der Ratifizierung enthaltene deutsche Übersetzung der UN-BRK sowie in der Denkschrift zentrale Begriffe wie z.B. „inclusion“ mit dem deutschen Wort „Integration“ übersetzt wurden. In der Sachverständigenanhörung wurde dies von Politikern, Verbänden und Wissenschaftlern erheblich kritisiert. „Für die juristische Interpretation der BRK gilt nach Art. 50 BRK, dass die deutsche amtliche Übersetzung nicht maßgeblich ist, weil sie nicht zu den authentischen Fassungen der BRK gehört .Der englischen Fassung der BRK kommt besondere Bedeutung zu, weil sie die vorrangige Verhandlungssprache in den Situationen des Ad-Hoc-Ausschusses war, in denen ohne Simultandolmetscher verhandelt werden musste.“ (Theresa Degener)
Das wird jedoch für die zukünftigen juristischen Interpretationen des Ratifikationsgesetzes von Relevanz sein.
Die Bundesregierung erklärte dagegen 2008, dass die Denkschrift in die Implementierung der UN-BRK in die deutsche Rechtsordnung weder Gesetzesreformen erfordere noch sei sie mit – über die Einrichtung des nationalen Monitorings hinausgehenden – besonderen Kosten verbunden. Aus den Verhandlungsprotokollen des Ratifizierungs-gesetzes kann man jedoch ersehen, dass es über diesen Punkt keinesfalls Einverständnis in der großen Koalition gab.
Zuständigkeiten auf Bundesebene
Die Federführung bei der Umsetzung der UN-BRK wurde dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales übertragen sowie die Koordinationsstelle gem. Art. 33 Abs.1 UN-BRK mit angebunden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) wurde mit der Begleitung der Umsetzung des Übereinkommens beauftragt und auch die unabhängige Monitoring-Stelle gem. Art. 33 Abs. 2 UN-BRK dort eingerichtet. Quelle
Welche Änderungen, welchen Stillstand gibt es seit der Ratifizierung der UN-BRK 2009 in Deutschland?
Der Staatenbericht der Vereinten Nationen zur Umsetzung der UN-BRK in den Vertragsstaaten ist ein absolut neutraler Blick in der Wirklichkeit der Menschen mit Behinderung. Er gibt einen guten Einblick in die positiven Bemühungen, vor allem aber deckt er die Verstöße gegen die in der UN- BRK garantierten Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen auf. Quelle
Der neue Staatenbericht 2023
In Genf fand am 29. und 30. August 2023 vor dem UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Anhörung zum Stand der Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention in Deutschland statt. Die deutsche Delegation bestand aus 26 Vertreter:innen des
* Bundesministeriums für Arbeit und Soziales,
* dem Bundesministerium der Justiz,
* dem Bundesministerium für Gesundheit,
* der Kultusministerkonferenz der Länder sowie
* dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und
* der Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen
https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Meldungen/2023/umsetzung-der-un-behindertenrechtskonvention.html
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/abteilungen/monitoring-stelle-un-behindertenrechtskonvention/staatenpruefverfahren
Die Umsetzung der UN-BRK in Deutschland Stand 2023
Diese Bereiche der Inklusionspolitik in Deutschland wurden kritisch hinterfragt:
Bewusstseinsbildung, Disability Mainstreaming, Barrierefreiheit im privaten Sektor, rechtliche Betreuung, Zwangsmaßnahmen und Freiheitsentziehung, Gewaltschutz, der Umgang mit geflüchteten Menschen mit Behinderungen, Deinstitutionalisierung, inklusive Bildung und die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben.
Was gibt es Positives zu berichten
Der Ausschuss begrüßt die Maßnahmen, die Deutschland seit den letzten abschließenden Bemerkungen im Jahr 2015 zur Umsetzung des Übereinkommens ergriffen hat. Er begrüßt insbesondere die legislativen und politischen Maßnahmen zur Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen, darunter:
* die Initiative des Bundes für Barrierefreiheit von 2022 Quelle
* Der Erlass des Gesetzes zur Stärkung der Barrierefreiheit (BFSG) von 2021 Quelle
* Die Verabschiedung des Gesetzes über die Reform des Vormundschaftsgesetzes für Kinder und Erwachsene von 2021 Quelle
* die Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG) von 2021 Quelle
* der Koalitionsvertrag von 2021 Quelle
* die Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Variationen in der Geschlechtsentwicklung von 2021 Quelle
* die Änderung des Bundeswahlgesetzes und anderer Rechtsvorschriften im Jahr 2019, mit der die Einschränkungen des Wahlrechts von Menschen mit Behinderungen aufgehoben werden Quelle
* Die Verabschiedung des Family Members Relief Act von 2020 Quelle
* Den Erlass des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) von 2016. Quelle
Der Ausschuss ist besorgt über
Allgemeine Grundsätze und Verpflichtungen Art. 1-4. Der Ausschuss beanstandet, dass in Deutschland in vielen Rechtsbereichen auf Bundes- und Landesebene noch immer das medizinische Behindertenmodell statt des Menschenrechtsmodell verwendet wird.
* die mangelnde Anerkennung in allen Bereichen des Regierungsportfolios, dass Behinderung in der Verantwortung aller staatlichen Stellen liegt, und die mangelnde durchgängige Berücksichtigung von Maßnahmen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen von Staat, Gesellschaft und Recht felt:
* Zum Beispiel über das Fehlen einer systematischen Überprüfung der bestehenden Gesetze, Politiken und Verordnungen, um festzustellen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen erforderlich sind, um den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen nachzukommen;
* das Fehlen eines allgemeinen Rechts der Vereinigungen, rechtliche Schritte zur Durchsetzung der Rechte aus der Konvention einzuleiten, die seltene Nutzung dieser Rechte in den Bereichen, in denen die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen bestehen, und – in den meisten dieser gesetzlichen Grundlagen – die Beschränkung der Rechtsbehelfe auf Feststellungsentscheidungen;
* Das Fehlen einer systematischen und institutionalisierten Zusammenarbeit mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Organisationen von Kindern mit Behinderungen, in allen sie betreffenden Angelegenheiten und von Prozessen für eine enge Abstimmung mit und die aktive Beteiligung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen;
* Unzureichende Ressourcen von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, um aktiv an der Entwicklung und Umsetzung von Gesetzen, Richtlinien, Programmen und Vorschriften zur Umsetzung des Übereinkommens teilzunehmen, und unangemessene administrative Hürden für den Zugang zu Finanzmitteln
* Die sehr unterschiedlichen Bemühungen um die Umsetzung der Konvention in den Bundesländern und eine unzureichende Menschenrechtsperspektive in den Aktionsplänen vieler Bundesländer
Er empfiehlt Deutschland
Unter Hinweis auf seine abschließenden Bemerkungen aus dem Jahr 2015 (CRPD/C/DEU/CO/1) Absatz 8 Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss dem Vertragsstaat, die Definition von Behinderung in Gesetzen und Politiken auf Bundes- und Länderebene mit den allgemeinen Grundsätzen und Bestimmungen der Konvention in Einklang zu bringen, insbesondere im Hinblick auf die Nichtdiskriminierung und das menschenrechtliche Modell von Behinderung.
* Die Entwicklung von Strategien zur Stärkung des Engagements in allen Bereichen des Regierungsportfolios, um sicherzustellen, dass Behinderung in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft als Querschnittsthema anerkannt wird, und um behindertenbezogene Maßnahmen in allen Rechtsbereichen wirksam zu verankern.
* die Vereinbarkeit der bestehenden Gesetze, Politiken und Verwaltungspraktiken mit den Verpflichtungen des Vertragsstaats aus dem Übereinkommen systematisch zu überprüfen und menschenrechtsbasierte Aktionspläne mit einem klaren Konzept von Behinderung aufzustellen, angemessene Maßnahmen zur Förderung, zum Schutz und zur Verwirklichung der Rechte aus dem Übereinkommen
* Sowie Ziele und Indikatoren zur Überwachung der Umsetzung des Übereinkommens zu erstellen, wie in seinen abschließenden Bemerkungen von 2015 empfohlen (CRPD/C/DEU/CO/1), Absatz 8 Buchstabe b;
* Die Überprüfung der Rechtsgrundlagen des Rechts von Verbänden zur Durchsetzung der Rechte aus der Konvention auf Bundes- und Länderebene, Erlass eines allgemein geltenden Rechtsschutzrechts von Verbänden, Bereitstellung wirksamer Rechtsbehelfe über bloße Feststellungsurteile hinaus und Beseitigung unbilliger Belastungen wie der Gefahr prohibitiver Prozesskosten und überhöhter Zulässigkeitsanforderungen.
* Die Entwicklung und Umsetzung institutionalisierter Verfahren für eine enge Abstimmung und aktive Beteiligung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Organisationen von Kindern mit Behinderungen,in allen sie betreffenden Angelegenheiten und die Standards für diese Verfahren festzulegen,
* indem sie unter anderem ausreichend Zeit für ihre Antworten garantieren und alle einschlägigen Dokumente in zugänglichen Formaten bereitstellen, im Einklang mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 (2018), Ziffer 54, und wie in den abschließenden Bemerkungen von 2015 (CRPD/C/DEU/CO/1), Ziffer 10 empfohlen.
* unter Hinweis auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 7 (2018), Ziffern 60 und 61, die Fähigkeit von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen und Menschen mit geistigen und/oder psychosozialen Behinderungen, zu stärken, sich aktiv an allen Maßnahmen zur Umsetzung des Übereinkommens zu beteiligen und ihre gesetzlichen Rechte, rechtliche Schritte einzuleiten, wirksam auszuüben und ausreichende Mittel bereitzustellen
* sowie die Sicherstellung, dass die Finanzmittel nicht ausschließlich projektbezogen sind und ohne unangemessene administrative Hürden in Anspruch genommen werden können.
* Unter Berücksichtigung ihrer Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 5 des Übereinkommens die Koordinierung zwischen den Ländern bei ihren Bemühungen um die Durchführung des Übereinkommens zu verbessern und sicherzustellen, dass Ihre Aktionspläne zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen im Einklang mit ihren Verpflichtungen aus der Konvention stehen.
Der Ausschuss ist besorgt über: Barrierefreiheit Artikel 9
* Die enge Umsetzung des europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit, die sich auf die zwingenden Verpflichtungen beschränkt und wichtige Bereiche wie Gesundheitsdienste, Bildungsgüter und -dienstleistungen, Haushaltsgeräte und die bauliche Umwelt auslässt,
* und die entsprechende weitgehende Unzugänglichkeit von Dienstleistungen, die von öffentlichen und privaten Einrichtungen erbracht werden, einschließlich der in Artikel 2 des Akts aufgeführten Dienstleistungen;
* Die unzureichende Menge an bezahlbarem, barrierefreiem Wohnraum im Vertragsstaat und die oft unzureichenden Baustandards der Länder;
* Die weit verbreitete mangelnde Zugänglichkeit öffentlicher Verkehrsmittel;
* Das Fehlen institutionalisierter Mechanismen für die Beteiligung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen an der Entwicklung von Barrierefreiheitsstandards.
* Die Erweiterung und Stärkung der gesetzlichen Anforderungen an barrierefreien Wohnraum für den öffentlichen und privaten Gebrauch, für Neubauten und Bestandsgebäude, die den Bau von neuen unbarrierefreien Wohnungen nur unter eng definierten Ausnahmebedingungen zu erlauben.
* Die Festlegung rechtlich verbindlicher zeitgebundener Ziele für Gebäude, die sich im Eigentum öffentlicher Einrichtungen befinden oder von diesen genutzt werden, und die Übernahme bestehender Standards zur Barrierefreiheit wie z.B. DIN 18040-3 in das Gesetz aufzunehmen.
* Die bevorstehende überarbeitete Verordnung (EU) Nr. 1300/2014 (TSI-PRM) zügig und mit einem klaren Plan und Zeitplan umzusetzen und, falls die künftige überarbeitete Verordnung den eigenständigen Zugang zu Bahnhöfen und Schienenverkehrsdiensten nicht gewährleisten sollte, die diesbezüglichen nationalen Anforderungen zu erlassen und umzusetzen.
* Die Umsetzung der bestehenden Anforderungen an die Zugänglichkeit von Nahverkehrsdiensten, Bussen, Reisebussen und Oberleitungsbussen, Seilbahndiensten und Personennavigations- diensten zügig und mit einem klaren Plan; Anforderungen an die autonome Nutzung des ÖPNV in diesen Bereichen zu erlassen und umzusetzen.
Der Ausschuss ist besorgt über Artikel 37: Schutz der Unversehrtheit der Person
* Das anhaltende Auftreten von Zwangssterilisationen von Frauen und Mädchen mit Behinderungen;
* Die Praxis der erzwungenen Empfängnisverhütung und der damit verbundenen schädlichen Nebenwirkungen sowie der erzwungenen Abtreibungen in institutionellen Einrichtungen.
Der Ausschuss empfiehlt Deutschland
* Alle erforderlichen gesetzlichen, administrativen und gerichtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um
* ein Verbot der Sterilisation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ohne deren freie und informierte Zustimmung, einschließlich der Sterilisation auf der Grundlage einer Ersatzeinwilligung oder von Gerichtsentscheidungen,
* Alle Formen der Empfängnisverhütung und des Schwangerschaftsabbruchs ohne die freie und informierte Zustimmung der betroffenen Person zu verbieten, einschließlich Zwangsmaßnahmen.
Der Ausschuss ist besorgt zu Artikel 25 Gesundheit
* Mangelnde Zugänglichkeit und mangelnde Ausbildung von Angehörigen der Gesundheits- berufe in Bezug auf Kommunikation und Bereitstellung von Informationen in zugänglichen Methoden und Formaten in den Gesundheits- einrichtungen, insbesondere für Frauen mit Behinderungen und in ländlichen Gebieten.
* Über die Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen manchmal weite Strecken zurücklegen müssen, um barrierefreie medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen.
* Die Tatsache, dass Menschen mit psychosozialen Behinderungen, Menschen mit geistiger Behinderung sowie gehörlose und schwerhörige Personen aufgrund der mangelnden Ausbildung und des diskriminierenden Ansatzes von Angehörigen der Gesundheitsberufe mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung erhalten;
* Das Fehlen von Rechtsvorschriften, insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB, über die Bereitstellung medizinischer Informationen für Menschen mit Behinderungen in zugänglichen Formaten, um sicherzustellen, dass ihre freie und informierte Einwilligung vor jedem medizinischen Eingriff gleichberechtigt mit anderen eingeholt wird;
* Das Fehlen von Rechtsvorschriften, insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB, über die Bereitstellung medizinischer Informationen für Menschen mit Behinderungen in zugänglichen Formaten, um sicherzustellen, dass ihre freie und informierte Einwilligung vor jedem medizinischen Eingriff gleichberechtigt mit anderen eingeholt wird.
Der Ausschuss empfiehlt Deutschland
* Maßnahmen zu ergreifen, um die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Gesundheitsdiensten in allen Bundesländern, insbesondere für Frauen mit Behinderungen und in ländlichen Gebieten, ohne Diskriminierung zu gewährleisten, indem Barrieren ermittelt und beseitigt und barrierefreie medizinische Ausrüstung bereitgestellt wird;
* Die Stärkung der Mechanismen für die regelmäßige Schulung von Angehörigen der Gesundheitsberufe in Bezug auf Menschenrechte, Würde, Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen
* Die Durchsetzung der Vorschriften über den rechtlichen Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung im Gesundheitswesen und Festlegung standardisierter Protokolle für die Bereitstellung medizinischer Informationen an Menschen mit Behinderungen
* Die Durchsetzung der Vorschriften zu ihrer freien und informierten Zustimmung zu medizinischen Eingriffen in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen und der Allgemeinen Bemerkung Nr. 1 des Ausschusses (2014);
* Sicherzustellen, dass Asylbewerber mit Behinderungen bei ihrer Ankunft gleichberechtigt mit anderen Zugang zu umfassenden Gesundheitsdiensten haben
Der Ausschuss ist besorgt zu Artikel 24 Bildung
* Der Ausschuss ist besorgt über die mangelnde und uneingeschränkte Umsetzung der inklusiven Bildung im gesamten Bildungssystem, die Verbreitung von Sonderschulen und -klassen sowie über die verschiedenen Hindernisse, auf die Kinder mit Behinderungen und ihre Familien stoßen, wenn sie sich an Regelschulen einschreiben und diese abschließen wollen
* Über das Fehlen eines klaren Mechanismus zur Förderung inklusiver Bildung in den Ländern und auf kommunaler Ebene;
* Das Missverständnis und die negative Wahrnehmung von inklusiver Bildung in einigen Exekutivorganen, die den Wunsch der Eltern, ihre Kinder in der Regelschule anzumelden, als Hinweis auf eine "Unfähigkeit, sich um ihr Kind zu kümmern" werten;
* Über die mangelnde Zugänglichkeit und Unterbringung in öffentlichen Schulen sowie der Mangel an zugänglichen Verkehrsmitteln, insbesondere in ländlichen Gebieten
* Über die Unzureichende Schulung von Lehrkräften und nicht-lehrendem Personal zum Recht auf inklusive Bildung sowie zur Entwicklung spezifischer Fähigkeiten und Lehrmethoden und berichteter Druck auf Eltern, Kinder mit Behinderungen in Sonderschulen anzumelden
Der Ausschuss empfiehlt Deutschland
Unter Hinweis auf seine Allgemeine Bemerkung Nr. 4 (2016) zur inklusiven Bildung empfiehlt der Ausschuss dem Vertragsstaat, in enger Abstimmung mit und aktiver Beteiligung von Schülern und Studierenden mit Behinderungen, ihren Familien und repräsentativen Organisationen:
* Die Entwicklung eines umfassenden Plans zur Beschleunigung des Übergangs von der Sonderschule zur inklusiven Bildung auf Länder- und kommunaler Ebene mit konkreten Zeitrahmen, personeller, technischer und finanzieller Ressourcenzuweisung und klaren Verantwortlichkeiten für die Umsetzung und Überwachung.
* Die Durchführung von Sensibilisierungs- und Bildungskampagnen zur Förderung der inklusiven Bildung auf Gemeindeebene und bei den zuständigen Behörden.
* Die Sicherstellung, dass Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können, unter anderem durch Verbesserung der Zugänglichkeit und Unterbringung aller Arten von Behinderungen und Bereitstellung geeigneter Transportvorkehrungen, insbesondere in ländlichen Gebieten.
* Die Gewährleistung einer kontinuierlichen Fortbildung von Lehrkräften und nicht-lehrendem Personal im Bereich der inklusiven Bildung auf allen Ebenen, einschließlich der Ausbildung in Gebärdensprache und anderen zugänglichen Informations- und Kommunikationsformaten, und Entwicklung eines Überwachungssystems zur Beseitigung aller Formen der direkten und indirekten Diskriminierung von Kindern mit Behinderungen und ihren Familien.
Definition „Behinderung"
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.
(§ 2 Abs. 1, Sozialgesetzbuch SGB XI BTHG.) Quelle
Und wo stehen wir heute?
AfD will „Rückabwicklung“ der Inklusion, Der AfD-Bildungspolitiker Harm Rykena spricht von „Rückabwicklung“ der Inklusion und verweist auf Berichte, wonach dieses Modell in der Praxis auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stoße. Nach Ansicht der AfD sei die früher übliche Aufteilung in Förderschulen und allgemeinbildende Schulen besser gewesen – auch für behinderte Kinder. Zudem sei dieses Modell weitaus kostengünstiger. „Deswegen schlage die AfD nicht eine langsamere und behutsamere Umsetzung der Inklusion vor, wie es vor Jahren die FDP getan hatte, sondern sie fordert den schrittweisen Ausstieg – trotz der Tatsache, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die Inklusion zwingend vorgibt. 33 Millionen Euro, die im Etatentwurf für Investitionen zur Verbesserung der Inklusion an Schulen vermerkt sind, können nach den Vorstellungen der AfD deshalb gestrichen werden.“ Auszug aus Rundblick; Politikjournal Niedersachsen 11.12.2019 Quelle
19. April 2014: Die AfD im saarländischen Landtag
Die AfD im saarländischen Landtag unterscheidet zum Thema Förderschulen zwischen „normalen“ und „kranken“ Kindern. „Was aber unter keinen Umständen geht, ist, dass in einem Krankenhaus oder der gleichen Abteilung auch Menschen mit übertragbaren Krankheiten, schweren ansteckenden Krankheiten sind“. … „In der Schule haben wir die gleiche Situation. Durch die Inklusion werden an Schulen „Kinder mit Downsyndrom (...) zusammen mit anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind unterrichtet “…. "AfD vergleicht Förderschüler mit ansteckenden Patienten", von Ute Kirch Quelle
12. März 2018
Die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag will von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der Schwerbehinderten in Deutschland seit 2012 entwickelt habe, insbesondere die Erbkrankheiten und Ehen in der Familie. Quelle
20.3.2019
Der Bundestag debattiert über einen Bluttest, mit dem Trisomie 21, also das Downsyndrom ohne gesundheitliche Risiken rechtzeitig erkannt wird. Quelle Quelle
AfD will „Rückabwicklung“ der Inklusion" Der AfD-Bildungspolitiker Harm Rykena spricht von „Rückabwicklung“ der Inklusion und verweist auf Berichte, wonach dieses Modell in der Praxis auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stoße. Nach Ansicht der AfD sei die früher übliche Aufteilung in Förderschulen und allgemeinbildende Schulen besser gewesen – auch für behinderte Kinder. Zudem sei dieses Modell weitaus kostengünstiger. Auszug aus Rundblick; Politikjournal Niedersachsen vom 11.12.2019, Quelle
Vorwärts in die Vergangenheit
Aufruhr in Rheinland-Pfalz: Eine Kreistagsfraktion der AfD beschreibt in einem Schreiben zwei Menschen mit Behinderung als "Problemfälle" … Die AfD-Fraktion im Kreistag von Bad Kreuznach hat mit ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Haushalt für Entsetzen gesorgt. … In dem Text werden unter anderem zwei behinderte Menschen als "Problemfälle" diskriminiert, die "durch ihr krankhaftes asoziales Verhalten" den Kreis mit "einer kaum nachvollziehbaren Summe" belasteten. Quelle
Wie könnte unsere Zukunft aussehen?
Konrad Adam (Eh. Bundessprecher der AfD) 2006: „38 Millionen Erwerbstätigen stehen rund 20 Millionen Rentner und Pensionäre, 8 Millionen Behinderte, 6 oder 7 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Studenten gegenüber: Leute, die es als ihr gottgewolltes Recht betrachten, von dem zu leben, was andere für sie aufbringen müssen.“ Artikel: Warum soll ich für Sie bezahlen?, von Konrad Adam, 20.5.2006 http://www.welt.de/print-welt/article218286/Warum-soll-ich-fuer-Sie-bezahlen.html
Monitor Film: "Der AfD-Staat: Rechtsextremisten an der Macht?"
Was wäre, wenn die AfD in Deutschland an die Macht käme? Wenn AfD-Politiker wie der Thüringer Landesschef Björn Höcke regieren könnten? Was würde das bedeuten für Zugewanderte, für Minderheiten, für die soziale Gerechtigkeit, für Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit und die Demokratie? Wir haben ein Experiment gemacht und die Künstliche Intelligenz ChatGPT gefragt, wie unser Land aussähe, wenn die AfD regieren würde. Die Antworten der KI auf die Frage, wie ein von der AfD regierter Staat aussähe, fielen düster aus: Massenauswanderung, Wirtschaftskrise, Einschränkung von Grundrechten. Nur eine Dystopie? Klar. Natürlich kann ChatGPT nicht die Zukunft vorhersagen. Aber die KI wurde mit Millionen von Daten gefüttert. Mit Texten, Büchern, öffentlich zugänglichen Informationen. ChatGPT kennt also auch die Programme der AfD, weiß, was AfD-Leute sagen und schreiben und was über die Partei berichtet und geforscht wird. Und: Für den Film hat MONITOR die Antworten der KI mit der Realität abgeglichen. Ergebnis: Programmatik und konkrete Entscheidungen der AfD zeigen, dass die Realität von den Szenarien der KI in vielen Bereichen nicht weit entfernt ist. Autorinnen: Julia Regis, Véronique Gantenberg, Stand 2024, Eine Produktion des WDR für die ARD, https://youtu.be/XFCVEIwZ7pc
Zitat Thomas Hartung (eh. Sächsischer AfD-Vize):
„Ich spreche einem Menschen mit Trisomie 21 die Befähigung ab, in Deutschland den Hochschulberuf eines Lehrers zu ergreifen, und gebe kund, dass ich als Nichtbehinderter von einem solchen nicht unterrichtet werden möchte. Dafür muss ich mich im Deutschland des Jahres 2014 rechtfertigen.“ „Spätestens, wenn die ersten Bildungsverschlimmbesserer eine Down-Syndrom-Quote unter der deutschen Lehrerschaft einfordern, sprechen wir uns wieder.“ Quelle Quelle
Hartung bezog sich auf einen spanischen Lehrer mit Down-Syndrom (bekannt aus dem Film „Me too“), über den er in einem Posting auf Facebook gelästert hat:"Was sagt uns das: Sei nur blöd genug, reise in der Welt herum, die Dummen wenden sich schon ganz allein dir zu. (...) Wo soll das hinführen, wenn es als normal gezeigt wird?" (Juni 2014, gelöscht). Quelle
Aus den AfD Wahlprogramm BaWü
„Inklusion nicht zu Lasten lernwilliger und begabter Kinder erzwingen und Überforderung der Lehrkräfte vermeiden: Die Inklusion darf nicht das Lernen der Mitschüler beeinträchtigen, denn auch diese haben ein Recht auf optimale Förderung. Bei schwerer körperlicher oder geistiger Behinderung kann die Inklusion leicht zur Überforderung der Mitschüler und Lehrkräfte sowie der betroffenen Schüler selbst führen. … Es ist Aufgabe des Lehrers, einen guten Unterricht für begabte Schüler zu bieten und hier eine hohe Fachkompetenz zu zeigen. Eine Überfrachtung mit fachfremden Kompetenzen ist nicht zu verlangen. Es ist von Vorteil für alle Betroffenen, wenn schwer lernbehinderte Kinder in Sonderschulen unterrichtet werden.“ u.a. Quelle
AfD Zitate
„Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“ – Alice Weidel, AfD, Parteitag am 23.4.2017 in Köln Quelle
„Wir sollten eine SA gründen und aufräumen!“ – Andreas Geithe, AfD Quelle
„Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“ – Chatprotokoll Marcel Grauf, kontextwochenzeitung.de, "wir schweigen nicht", 13.11.2019 Quelle
Höcke Rede zum Thema "Ansturm auf Europa" – Institut für Staatspolitik:
Höcke referiert, dass Afrika eine andere "Reproduktionsstrategie" als Europa verfolge. In Afrika herrsche die "r-Strategie" im Gegensatz zu Europa, wo die "K-Strategie" überwiege.
Höcke Rede zum Thema "Ansturm auf Europa" zur Herbsttagung des Institut für Staatspolitik am 21. und 22. November 2015:
Mit diesen Begriffen bezeichnen Biologen Unterschiede bei der Fortpflanzungsstrategie von Lebewesen. Als "r-Strategen" gelten Arten, die möglichst viele Nachkommen zeugen, damit einige überleben. Im Gegensatz dazu sprechen Biologen bei Säugetieren, insbesondere bei Menschen, von der "K-Strategie", bei der wenige Jungen zur Welt gebracht werden, um die sich die Eltern dann aber intensiv kümmern. Tagesschaubericht von Oda Lambrecht und
Christian Baars, NDR Quelle
Auszug aus Björn Höcke Rede Januar 2024: Höcke redet von "20, 30 Prozent weniger Menschen", das kann Deutschland ohne Probleme verkraften, was "ökologisch" sinnvoll ist“; über die Leistungsgesellschaft der Deutschen und über biologistischen Sozialdarwinismus. Tagesschau, "Millionen Deutsche haben Angst vor Abschiebungen" 8.2.2024 Quelle
Sozialdarwinismus
Die Grundlage des frühen Sozialdarwinismus war das Nichteingreifen des Staates in die Geschicke sozial schwacher Menschen und die These, dass nur der Markt alles regeln könne, dürfe und solle. Überleben sollten dadurch nur die Stärksten, da nur sie den Anforderungen der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Lebens gewachsen seien, sich durchsetzen könnten und so die Gesellschaft voranbringen würden.
Sozialdarwinisten gestern
„Sozialdarwinisten vertreten die Ansicht, dass Schwache weniger wert sind als Starke und Behinderte oder chronisch Kranke eine Last für die Allgemeinheit sind. Sie behaupten, es schwäche eine Gesellschaft, wenn sie auf Schwache Rücksicht nehme. Solidarität wird von ihnen als hinderlich empfunden, Gleichberechtigung als "wider die Natur".“ (Zitat: Bundeszentrale für politische Bildung, Glossar: Sozialdarwinismus) Quelle
Sozialdarwinismus heute
Rechte Parteien und Rechtsextremisten halten bis heute an diesen Einstellungen fest. Sie ist ein wichtiger Teil rechtsextremen Denkens.
Zitat Udo Pastörs, NPD-Vorsitzender Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern am 31. Januar 2007 im Landtag; zitiert nach Pressemitteilung der Präsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern Sylvia Bretschneider vom 20.9.2007.
Plenarrede im Januar 2007: "Unser erstes Augenmerk hat dem Gesunden und Starken zu gelten. Dieses ist zuallererst zu fördern und zu unterstützen. Dies ist keine Selektion, sondern einfache Logik." Quelle Quelle
Studie über Sozialdarwinismus
Dass dieses Denken kein Alleinstellungsmerkmal der rechten Szene ist, stellen die Leipziger Sozialwissenschaftler Elmar Brähler und Frank Decker in einer Studie fest, in der 14,5 Prozent der Bevölkerung (West: 13,8 – Ost: 17,1) dieser Aussage zustimmten: "Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen." Quelle
Inklusion
Ist die Achtung der Unterschiedlichkeit und Akzeptanz als Teil der menschlichen Vielfalt, sowie die volle und wirksame Teilhabe und Einbeziehung aller in die Gesellschaft Es gilt der Grundsatz der Gleichwertigkeit eines jeden Individuums, ohne dass Normalität vorausgesetzt wird Inklusion ist der Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität aller.
Marie—Joseph Motier Marquis de Lafayette (1757-1834) "Die Menschenrechte beginnen, wo die Vorurteile aushören!"
Quellenangaben * Lilian Masuhr: Zur Geschichte des Umgangs mit Behinderung * Inklusion als Menschenrecht – Online Handbuch * Institut für Menschenrechte * Aktion Mensch * ZDF, ZDF-Info * Süddeutsche Zeitung, TAZ, Tagesschau * Zentrale für politische Bildung * ISL-Interessengemeinschaft Selbstbestimmt Leben * Archive der Friedrich-Ebert-Stiftung * Vereinte Nationen * Bundesministerium für Arbeit und Soziales * Bundesministerium für Justiz